Spanien

Justiz nimmt Kataloniens Regionalchef ins Visier

Torra vor dem Gerichtsgebäude in Barcelona.
Torra vor dem Gerichtsgebäude in Barcelona. (c) APA/AFP/LLUIS GENE
  • Drucken

Der Ministerpräsident der Regionalregierung in Barcelona, Quim Torra, musste am Montag vor Gericht. Der Vorwurf: Ungehorsam gegenüber dem Staat.

Madrid/Barcelona. Erst vor vier Wochen wurden mehrere katalanische Separatistenführer wegen illegaler Aktivitäten zu hohen Haftstrafen verdonnert. Nun droht die nächste Verurteilung: Kataloniens Ministerpräsident, Quim Torra, Chef der Regionalregierung in Barcelona, steht seit Montag wegen Ungehorsams gegenüber dem spanischen Staat vor Gericht. Dem 56-Jährigen droht zwar kein Gefängnis, aber ein politisches Betätigungsverbot, das seine Amtszeit abrupt beenden würde. Der Staatsanwalt fordert zudem eine empfindliche Geldstrafe. Die Verurteilung des obersten katalanischen Politikers dürfte den Katalonien-Konflikt, der in den vergangenen Wochen wieder aufgeflammt ist, weiter anheizen.

„Du bist nicht allein“, riefen ihm Hunderte Anhänger zu, die sich vor dem Gerichtsgebäude in der katalanischen Regionalhauptstadt Barcelona versammelt hatten. Fahnen der Separatistenbewegung wehten. „Unabhängigkeit, Unabhängigkeit“, skandierte die Menge. Quim Torra, der von Ehefrau Carola und seinen drei erwachsenen Kindern begleitet wurde, winkte den Menschen freundlich zu. Auch Torras Stellvertreter, Pere Aragonès, gehörte zum Solidaritätskomitee. Aragonès sagte, dieser Prozess sei ein neuer Versuch Spaniens, „einen politischen Konflikt mit strafrechtlichen Mitteln zu lösen“.

Drinnen, vor der Strafkammer des Obersten Gerichtshofs Kataloniens, ging es weniger freundlich zu. Der Staatsanwalt warf Torra vor, Anordnungen der spanischen Wahlbehörde ignoriert und damit gegen das Gesetz verstoßen zu haben.

Streit um ein Plakat

Die amtlichen Wahlwächter hatten verfügt, dass vor der nationalen Parlamentswahl ein Transparent der Unabhängigkeitsbewegung von Torras Regierungspalast in Barcelona entfernt werden müsse. Und zwar, weil laut Gesetz in der Vorwahlzeit keine politischen Botschaften an öffentlichen Gebäuden erlaubt seien. Doch Torra hatte sich geweigert.

Der Stein des Anstoßes war ein großes weißes Plakat an seinem Amtssitz in Barcelona, auf dem in großen schwarzen Buchstaben auf Katalanisch zu lesen war: „Freiheit für die politischen Gefangenen und Exilanten.“ Die „politischen Gefangenen“, das sind nach Torras Meinung die neun Separatistenführer, die nach langer Untersuchungshaft wegen Aufruhrs und Veruntreuung zu Freiheitsstrafen verurteilt worden waren. Als „Exilanten“ bezeichnet er Kataloniens früheren Ministerpräsidenten Carles Puigdemont und sechs weitere katalanische Politiker, die vor der spanischen Justiz ins Ausland geflohen sind.

Torra, ein enger Vertrauter Puigdemonts, gab im Gerichtssaal zu, der Anordnung der Wahlbehörde keine Folge geleistet zu haben. Er berief sich auf die Meinungsfreiheit. Torra bezeichnete die staatliche Verfügung als „einen Akt der Zensur“ und als „illegale Anordnung“.

Diese Interpretation entspricht dem Kurs, auf den Torra seit Monaten seine Sympathisanten einschwört: Regelmäßig ruft er die Befürworter einer Unabhängigkeit, die derzeit knapp die Hälfte der katalanischen Bevölkerung ausmachen, zum „zivilen Ungehorsam“ gegenüber dem spanischen Staat und der spanischen Verfassung auf. Die Verfassung untersagt die Abspaltung eines staatlichen Territoriums.

Das Strafverfahren ist möglicherweise erst der Anfang der Justizprobleme, die auf den seit 2018 amtierenden Torra zukommen. Spaniens Behörden haben offenbar Hinweise darauf, dass Torra einer der Hintermänner der Krawalle sein könnte, mit denen radikale Separatistengruppen vor Kurzem für Chaos in Barcelona sorgten.

Die Unruhen hatten begonnen, nachdem Torra die Unabhängigkeitsbewegung angefeuert hatte, gegen die Haftstrafen für die im Oktober verurteilten katalanischen Politiker auf die Straße zu gehen. Nächtelang lieferten sich Tausende Personen schwere Straßenschlachten mit der Polizei. Es gab mehr als 600 Verletzte. Zudem entstand millionenschwerer Sachschaden.

Auf einen Blick

Kataloniens Ministerpräsident, Quim Torra, steht seit Montag wegen Ungehorsams gegenüber dem spanischen Staat vor Gericht. Der Staatsanwalt wirft ihm vor, Anordnungen der spanischen Wahlbehörde ignoriert zu haben. Torra hat sich geweigert, vor der nationalen Parlamentswahl ein Transparent der Unabhängigkeitsbewegung vom Regierungssitz in Barcelona entfernen zu lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.