Preiserhöhungen

Möglicherweise mehr als 100 Tote bei Protesten im Iran

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Proteste gegen das Regime in Teheran wegen Benzinpreiserhöhung nehmen drastische Formen an. Amnesty International bezifferte die Zahl der Opfer auf mindestens 106 Personen in 21 Städten.

Bei den landesweiten Protesten gegen höhere Benzinpreise sind nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International möglicherweise mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen. Aus Berichten an die Organisation gehe hervor, dass mindestens 106 Demonstranten in 21 Städten ums Leben gekommen seien, twitterte Amnesty am Dienstag.

Verifiziertes Videomaterial, Aussagen von Augenzeugen und Informationen von Aktivisten außerhalb des Irans offenbarten ein entsetzliches Muster gesetzeswidriger Tötungen durch iranische Sicherheitskräfte, teilte die Menschenrechtsorganisation mit. 

Diese Angaben stehen im krassen Gegensatz zu den offiziellen Verlautbarungen, die staatlich kontrollierte iranische Medien verbreiteten. Ihnen zufolge sollen seit Freitag lediglich neun Menschen ums Leben gekommen sein. Es handle sich um vier Demonstranten, drei Mitglieder der Revolutionsgarden und zwei Polizisten, berichteten staatlich kontrollierte iranische Medien.

Amnesty sei voreingenommen und die Angaben seien erfunden und Teil einer ausländischen Desinformationskampagne, twitterte Irans UN-Sprecher Alireza Miryousefi am Mittwoch. Demnach seien alle Opferzahlen, die nicht von der iranischen Regierung bestätigt würden, spekulativ und nicht verlässlich.

Plätze abgeriegelt

Wichtige Plätze in der Hauptstadt wurden von der Polizei mit Panzerwagen und Wasserwerfern abgeriegelt. Ein Mitglied der Revolutionsgarden und zwei Angehörige der Basij-Miliz seien westlich der Hauptstadt Teheran von Unbekannten erstochen worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Isna. Die drei Mitglieder der Sicherheitskräfte sollen in einen "Hinterhalt" geraten und mit Messern und Macheten getötet worden sein.

Bisher hatten die Behörden nur mitgeteilt, dass zwei Polizisten und ein Demonstrant getötet worden seien. Etwa 1.000 Menschen seien festgenommen worden. Einigen der Anführer drohten die Revolutionsgarden, eine dem System besonders loyale Elitetruppe, mit der Todesstrafe.

Internet bleibt weitgehend abgeschaltet

Berichte in sozialen Medien, dass die Zahl der Opfer und Festgenommenen wesentlich höher liege, ließen sich nicht überprüfen, weil das Internet den vierten Tag in Folge weitgehend abgeschaltet war. Zwar hatte die Regierung am Montag von einer leichten Beruhigung der Lage gesprochen, aber die andauernde Sperrung des Internets wurde als Hinweis darauf gedeutet, dass es noch Unruhen und Proteste geben könnte.

"Im Land ist die Ruhe wieder hergestellt", sagte Justizsprecher Gholamhossein Esmaili am Dienstag. Der Justizsprecher warnte, die Regierung werde hart gegen alle vorgehen, die die Sicherheit gefährdeten. Er rief die Bevölkerung auf, Unruhestifter den Behörden zu melden.

Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen forderte den Iran zur Achtung der Freiheits- und Versammlungsrechte auf. Es äußerte sich zudem tief besorgt wegen des Einsatzes scharfer Munition gegen Demonstranten.

Es ist die größte Protestwelle seit den Demonstrationen im Winter 2017/18, bei denen 25 Menschen getötet worden waren. Auch damals hatten sich die Proteste an der schwierigen wirtschaftlichen Lage im Iran entzündet, der wegen der US-Wirtschaftssanktionen in eine tiefe Rezession gerutscht ist.

Zeichen für staatliche Korruption und Misswirtschaft?

Auslöser der jüngsten Proteste war die umstrittene Entscheidung der Regierung von Präsident Hassan Rouhani am Freitag, die Benzinpreise drastisch zu erhöhen. Damit will sie den hohen Konsum eindämmen, den Schmuggel bekämpfen und zusätzliche Hilfen für Bedürftige finanzieren. Ökonomen halten eine Reform der Benzinsubventionen zwar seit langem für überfällig, kritisieren aber, dass sie zur Unzeit komme.

Die Demonstranten sehen die drastische Erhöhung der Benzinpreise als Beleg für staatliche Korruption und Misswirtschaft. Sie beklagen, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht und sich die Lebensbedingungen für viele Iraner verschlechtern. Der Islamischen Republik machen US-Sanktionen im Streit über ihr Atomprogramm schwer zu schaffen.

US-Präsident Donald Trump war im Mai 2018 aus dem internationalen Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen und hatte im Zuge einer Politik des "maximalen Drucks" neue Finanz- und Handelssanktionen verhängt. Der Iran begann daraufhin im Mai mit dem schrittweisen Rückzug aus der Vereinbarung und weitete sein Atomprogramm nach und nach aus.

Erst am Sonntag überschritt der Iran die zulässige Menge der Schwerwasserbestände. Vergangene Woche hatte Teheran zudem die Urananreicherung in der Anlage Fordo wieder aufgenommen. Die USA verkündeten daraufhin am Montag, die bisher für Fordo gewährten Ausnahmen von den Sanktionen zu beenden. Damit soll die Arbeit des russischen Energiekonzerns Rosatom in der unterirdischen Urananreicherungsanlage verhindert werden.

(APA/AFP)

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