Kino

Schwaches Grauen in Stanley Kubricks Horrorhotel

Kubricks Szenerien, minutiös nachgebaut.
Kubricks Szenerien, minutiös nachgebaut. (c) Courtesy of Warner Bros. Picture
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Der Filmklassiker „The Shining“ nach einem Roman von Stephen King erfährt mit „Doctor Sleeps Erwachen“ eine Fortsetzung – die keine ist.

2013 veröffentlichte Stephen King mit „Doctor Sleep“ die Fortsetzung zu „The Shining“, eine verstiegen komplexe, eigentümlich spannungsarme Elaboration zum Phänomen des „Shining“, einer Art Hellsichtigkeit, die bei Kindern am stärksten ausgeprägt ist, im Lebenslauf aber immer weiter abnimmt und irgendwann ganz erlischt.

Dan Torrance (fehlbesetzt: Ewan McGregor) ist zwar mittlerweile erwachsen, „scheint“ aber immer noch, nur nicht mehr ganz so stark wie damals, als sein Vater, Jack, Winterwart des kolossalen Overlook-Hotels in Colorado war. Stanley Kubrick verfilmte 1980 die schrittweise Zersetzung dieser amerikanischen Kernfamilie gewohnt technokratisch und verärgerte damit den Sentimentalisten King: Wo dieser das Hotel und die darin gespeicherten Geister als archaische, böse Kraft fantasierte, setzte Kubrick auf eine psychologisch grundierte, zunehmend gewalttätige Entgleisung des instabilen, alkoholkranken Patriarchen Jack Torrance – und schuf damit ein bis heute unumstößliches Horrormeisterwerk.

Nun ist auch Sohn Dan zum Säufer geworden, nicht zuletzt um das „Shining“ zu unterdrücken: Nach einem weiteren Absturz nimmt er Reißaus, zieht in eine Kleinstadt, wo er neue Freunde findet, trocken wird und in telepathischen Kontakt mit dem Mädchen Abra (Kyleigh Curran) tritt, das von grausigen Visionen, offenbar in Zusammenhang mit verschwundenen Kindern, geplagt wird. Die zwei kommen der hippiesken Truppe „Wahrer Knoten“ auf die Spur, die als Wohnwagen-Kolonne durch die Lande zieht, auf der Suche nach jungen Opfern, die sie zu Tode foltern, bis sie ihren lebensverlängernden „Steam“ aushauchen. Anführerin Rose the Hat (Rebecca Ferguson) erkennt, dass Abra eine fast unerschöpfliche Quelle dieser Substanz ist, und setzt alles daran, sie zu finden.

Overlook-Hotel minutiös nachgebaut

Mangelnden Mut kann man Regisseur Mike Flanagan, der bereits Kings Roman „Gerald's Game“ für Netflix inszeniert hat, nicht vorwerfen. Fehlende Ambition ebenso wenig. „Doctor Sleeps Erwachen“ eröffnet mit der Filmmusik von Kubricks „The Shining“, auch sonst wirkt dieses mit zweieinhalb Stunden überlange Fantasy-Stück vor allem konzipiert, um sich an der Aura des Kinoklassikers zu laben, der die Romanvorlage in jeder Hinsicht überstrahlt. Flanagan, der auch das Drehbuch verfasst hat, verpasst seiner Adaption wohl auch deshalb einen komplett neuen, dritten Akt, der die Figuren in das Overlook-Hotel führt. Wie ein schlafendes Ungeheuer liegt es da in der Eiseskälte des Colorado-Winters und scheint nur darauf zu warten, geweckt zu werden. Hier bekommt „Doctor Sleeps Erwachen“ musealen Charakter. Flanagan und sein Team haben die Location minutiös nachgebaut, von der Lichtstimmung über Torrances Schreibmaschine bis hin zum Teppichboden und dem Blutschwall, der sich in den Flur ergießt; Nostalgieknöpferln werden gedrückt. „Doctor Sleeps Erwachen“ wirkt mehr wie eine Simulation des Originals als wie dessen Fortsetzung, nicht unähnlich jenem Segment aus Spielbergs unterschätzter Sci-Fi „Ready Player One“ in der sich die Figuren durch ein virtuelles, interaktives Overlook-Hotel kämpfen.

Hier fällt zudem besonders auf, wie wenig dramaturgische Potenz die Geschichte dieses Films hat, die mit ihren Astralreisen, Vorhersehungen und telepathischen Gesprächen eigentümlich abstrakt und ephemer bleibt – im Unterschied zum manifesten, räumlichen Grauen des Finales. Stephen King jedenfalls hat Flanagans technisch solide, aber insgesamt enttäuschende Verfilmung gelobt und gemeint, sie habe ihn sogar mit Kubricks Film versöhnt. Auch meisterhafte Erzähler sind offenbar vor Fehleinschätzungen nicht gefeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2019)

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