Deutschland

Täter wollte sich offenbar an der Familie Weizsäcker rächen

Fritz von Weizsäcker bei der Beerdigung seines Vaters 2015, links neben ihm Schwester Beatrice, rechts Mutter Marianne und der damalige deutsche Bundespräsident, Joachim Gauck.
Fritz von Weizsäcker bei der Beerdigung seines Vaters 2015, links neben ihm Schwester Beatrice, rechts Mutter Marianne und der damalige deutsche Bundespräsident, Joachim Gauck.APA/dpa/Maurizio Gambarini
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Der 59-jährige Sohn des früheren deutschen Bundespräsidenten wurde bei einem Vortrag erstochen.

Berlin/Wien. 55 Minuten dauert der Vortrag im Tagungsraum im Haus H der Abteilung für Psychiatrie in der Berliner Schlosspark-Klinik. Der Arzt Fritz von Weizsäcker referiert über sein Spezialgebiet, die Gefahren einer Fettleber. Rund zwanzig Personen sitzen im Publikum. Als der Vortrag zu Ende geht, stürzt ein Mann mit Glatze und schwarzer Daunenjacke in den Saal, läuft direkt auf den Dozenten zu und sticht mit einem Messer auf ihn ein. Obwohl einer der Zuhörer, ein Polizist, sofort dazwischengeht und versucht, den Angreifer zu stoppen, und obwohl Weizsäckers Kollegen sofort mit der Reanimation beginnen, verstirbt der 59-jährige Chefarzt noch am Tatort.

Am Tag danach sitzt der Schock in dem Berliner Krankenhaus tief. Fritz von Weizsäcker war nicht nur Facharzt für Innere Medizin und seit fast 15 Jahren geschätzter und geachteter Chefarzt in der privaten Klinik in Berlin-Charlottenburg. Er war auch der Sohn von Richard von Weizsäcker, der von 1984 bis 1994 Bundespräsident Deutschlands war. Und seine Familienzugehörigkeit dürfte Sohn Fritz nun zum Verhängnis geworden sein. Der Angreifer habe den 59-Jährigen getötet, weil er sich an der Familie Weizsäcker rächen wollte. Die Abneigung des Täters sei „wahnbedingt“ gewesen, teilten die Ermittler mit.

Noch am Dienstagabend, der Vortrag endete kurz vor 19 Uhr, nahm die Mordkommission ihre Arbeit in der Klinik auf. Mehrere Zuhörer hatten den Messer-Attentäter festgehalten, bis die Polizei eintraf. Der 33 Jahre alte Polizist, der privat im Publikum saß und versucht hatte, den Angreifer aufzuhalten, erlitt schwere Schnittverletzungen. Bei dem Angreifer, den die Beamten vor Ort als „offensichtlich geistig verwirrt“ eingestuft haben, handelt es sich um einen 57 Jahre alten Mann aus dem Raum Koblenz im nördlichen Rheinland-Pfalz. Der Deutsche, der nach ersten Erkenntnissen zuvor nicht polizeibekannt gewesen war, wurde in eine psychiatrische Einrichtung überstellt.

Wut über „Agent Orange“ in Vietnam

Das Motiv liegt angeblich in der Vergangenheit von Richard von Weizsäcker. Lang bevor er Bundespräsident wurde, war er in den 1960er-Jahren Geschäftsführer des Chemiekonzerns Boehringer Ingelheim gewesen. In dieser Position sei der Vater des nun Getöteten verantwortlich für die Lieferungen von Giftstoffen im Vietnam-Krieg gewesen. Laut Nachrichtenmagazin „Spiegel“ gab der Täter an, den Sohn getötet zu haben, weil er den Vater nicht mehr habe treffen können.

Richard von Weizsäcker selbst sagte dazu, er habe erst Jahre später vom gefährlichen Entlaubungsmittel „Agent Orange“ und der Rolle des Chemiekonzerns, für den er damals arbeitete, erfahren.

Wissenschaftler und Politiker

Sohn Fritz von Weizsäcker war nach Stationen in Freiburg, Boston und Zürich seit 2005 Chefarzt der Abteilung Innere Medizin I an der Schlosspark-Klinik. Als Experte hielt der dreifache Vater dort auch immer wieder öffentlich zugängliche Vorträge.

Aus der prominenten Familie sind seit vielen Jahrzehnten immer wieder Wissenschaftler und Politiker hervorgegangen. Der Arzt war das jüngste von vier Kindern des früheren Bundespräsidenten, der 94-jährig im Jahr 2015 verstarb. Der Vater war zudem Anfang der 1980er-Jahre Regierender Bürgermeister von Berlin. Mutter Marianne (87) lebt in Berlin. Onkel Carl Friedrich war Physiker und während des Zweiten Weltkriegs an der Entwicklung der Atombombe beteiligt. Nach dem Krieg engagierte er sich in der Friedensforschung. Umstritten war die Rolle des Großvaters Ernst Heinrich: Als Diplomat wurde er unter Adolf Hitler Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Von diesem Posten trat er 1943 zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er als Kriegsverbrecher verurteilt, kam aber bald wieder frei. (zoe)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2019)

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