Kino

Fast hätte diese Frau den Irak-Krieg verhindert

So ungeschminkt hat man den Star noch nie gesehen: Keira Knightley spielt die Whistleblowerin Katherine Gun, hier auf dem Weg ins Gericht.
So ungeschminkt hat man den Star noch nie gesehen: Keira Knightley spielt die Whistleblowerin Katherine Gun, hier auf dem Weg ins Gericht.(c) Constantin
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„Official Secrets“ erzählt die wahre Geschichte einer britischen Whistleblowerin. Der Film verzichtet auf Pathos und Nervenkitzel. Gerade dadurch wirkt er packend authentisch – und macht klar, warum diese stille Heldin als Vorbild taugt.

Ein E-Mail ausdrucken, einen Brief in den Postkasten werfen: ganz triviale Handlungen des Alltags. Aber sie können ganz normale Alltagsmenschen, die stur auf ihr Gewissen hören, mit einem Schlag zu Helden machen – und wenn es hoch hergeht, einen ungerechten Krieg verhindern. Oder auch nur die eigene Existenz zerstören.

Der schmale Grat zwischen Ruhm und Schande, Triumph und Scheitern, fast übermenschlichem Mut und allzu menschlicher Angst: Darum geht es in dem wunderbaren Film „Official Secrets“, der wahren und wahrhaftig erzählten Geschichte der britischen Whistleblowerin Katharine Gun.

Ihr Job als junge Übersetzerin war, bei einer Behörde des Geheimdiensts Telefonate abzuhören. Anfang 2003 landete auch auf ihrem Bildschirm ein Rundmail von der NSA. Die Amerikaner baten die Kollegen um kompromittierendes Material. Damit wollten sie vor der UN-Abstimmung, die einen Angriff auf den Irak legitimieren sollte, die Delegierten von sechs Ländern erpressen. Die Resolution sollte also erzwungen, die Öffentlichkeit betrogen werden. Gun ließ einen Ausdruck dem „Observer“ zukommen, der die „schmutzigen Tricks“ auf die Titelseite brachte. Die Geheimnisverräterin stellte sich, es drohte ihr lange Haft.

Das nostalgisch Schöne daran: Es ist so klar, so einfach. Man muss nicht wie bei den Massen-Downloads von Edward Snowden grübeln, ob ein solches Gießkannen-Leak die Sicherheit des Westens gefährdet. Oder darüber, ob eine schillernde Figur wie Julian Assange als moralisches Vorbild taugt. Gun ist keine Querulantin, auch keine fanatische Pazifistin. Aber sie war gegen den Irak-Krieg, weil sie wusste: Bush und Blair logen, wenn sie behaupteten, ihre Geheimdienste hätten Beweise für Massenvernichtungswaffen.

„Sie arbeiten doch für die Regierung“, hielt ihr ein Ermittler vor. „Nein“, gab sie zu Protokoll, „ich arbeite für das britische Volk. Ich sammle nicht Informationen, damit die Regierung das Volk belügen kann.“ Hier stand sie, sie konnte nicht anders. Obwohl sie auch ihren Mann gefährdete, einen kurdischen Asylwerber, der prompt in einem Willkürakt abgeschoben werden sollte, wohl um die „Verräterin“ mürbe zu machen.

Eine mutige Heldin, an deren edler Gesinnung keine Zweifel aufkommen, dazu bedrohtes Liebesglück: Mit wie viel melodramatischem Pathos, mit welch kühn zugespitzter Spannung hätte Hollywood sich diesen Plot gekrallt! Stattdessen setzt Regisseur Gavin Hood ganz auf britisches Understatement: Alles wirkt sympathisch bescheiden, angenehm temperiert – und vor allem authentisch. Fünf Tage lang setzte sich der Filmemacher mit der Whistleblowerin im Vorfeld zusammen, auch am Set war sie dabei.

Hier sitzt jeder Satz

Mehr Dokudrama als Thriller: Das mag Kinobesucher, die sich gern auf den Wogen großer Gefühle schaukeln lassen, enttäuschen. Aber hier sitzt jeder Satz, stimmt jede Szene. Die prähistorisch wirkende EDV-Ausstattung, die Originalausschnitte aus Fernsehnachrichten: Ja, so könnte es sich wirklich abgespielt haben. Das färbt auch auf die Schauspieler ab. Keira Knightley legt ihre opulenten historischen Kostüme ab und streift sich schlabbrige Strickpullis über. Noch nie hat man den schönen Star so ungeschminkt gesehen: leise, blass, verunsichert – und überzeugender denn je. Sie zeigt Gun als Heldin wider Willen, die über ihre eigene Zivilcourage erschrickt. Damit kann sich jeder identifizieren. Gerade weil man mit ihr mitfühlt, sich ganz auf Augenhöhe wähnt, blickt man am Ende voller Respekt zu ihr auf. Lebhaft geht es in der Redaktion des „Observer“ zu. Den fetten Fisch an Land gezogen hat der Journalist Martin Bright (apart zerknittert: Matt Smith). Aber dass er mit Kollegen so genau prüft, ob man ihm nicht eine Fälschung unterjubeln will, ist keine Hommage an das Berufsethos der Zunft. Er hat die Blattlinie gegen sich: Die Zeitung steht hinter den Kriegsplänen Blairs. Bis zu dem Moment, in dem der Chefredakteur tief durchatmet und sagt: „Wir bringen die Story.“

Sie schlug ein wie eine Bombe. Fast hätte sie den Druck der Bürger, die den Krieg weltweit mehrheitlich ablehnten, groß genug werden lassen. Aber rasch verflog die Euphorie. Konservative US-Medien verhöhnten die Enthüllung als plumpes Fake: Ein amerikanischer Geheimdienstler würde wohl kaum in britischer Orthografie schreiben. Was war passiert? Eine Assistentin hatte das Mail abgetippt und die automatische Rechtschreibprüfung drübergelassen. Als Sonntagszeitung konnte der „Observer“ erst eine Woche später das Missgeschick breit aufklären. Da war die UN-Resolution zwar abgesagt, aber die „Allianz der Willigen“ auf Schiene. An den Wörtern „labour“ und „recognise“ scheiterte der Eintrag in die Geschichtsbücher. Halb gescheitert ist auch die rechtliche Aufarbeitung der Causa Gun. Der Film ist ein Leckerbissen für Juristen: Er zeichnet gut verständlich die Strategie der Verteidigers (charismatisch: Ralph Fiennes) nach, der riskant auf „nicht schuldig“ plädierte – und dazu nachweisen musste, dass Gun im „Notstand“ gehandelt hatte, um einen illegalen Angriffskrieg zu verhindern und damit Leben zu retten. Der Prozess endete schon nach einer halben Stunde, weil sich der Staat auf diese heikle Debatte nicht einlassen wollte.

Gun kam frei, aber da lag Bagdad schon in Trümmern. Das Kino holt diese Spionin Courage nun aus der Vergessenheit, und was sagt sie dazu? „Mal sehen, ob die Geschichte irgendjemanden berühren wird.“ How very british indeed, wahrscheinlich trinkt sie eine lauwarme Tasse Tee dabei.

Natürlich berührt dieser Film. Aber wie? Er richtet den eigenen moralischen Kompass neu aus. Und das bringt viel mehr als voll geweinte Taschentücher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2019)

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