Der Generalstaatsanwalt klagt den Ministerpräsidenten in drei Korruptionsfällen an In einem Rundumschlag wirft Netanjahu der Justiz einen „Putschversuch“ vor. In die Koalitionsgespräche könnte eine neue Dynamik kommen.
Wien/Jerusalem. Mehr als ein Jahr hatte der Spruch des Generalstaatsanwalts Avichai Mandelblit wie ein Schatten über Benjamin Netanjahu und der israelischen Politik geschwebt. Er hatte eine Rolle gespielt bei den beiden Knesset-Wahlen im Frühjahr und im Herbst – und erst recht bei den fehlgeschlagenen Koalitionsverhandlungen. Dass Mandelblit nun aber nur 24 Stunden, nachdem Benny Gantz, Netanjahus großer Rivale, den Auftrag zur Regierungsbildung an Präsident Reuven Rivlin zurückgegeben hatte, mit seiner Entscheidung an die Öffentlichkeit ging, kam dann doch überraschend.
In Jerusalem spielte spielte sich am Donnerstagabend ein Politdrama ab. Mit der Erhebung der Anklage in drei Korruptionsfällen, hatten alle gerechnet – Rivlin, Gantz und wohl auch Netanjahu, der bis zuletzt kämpfte und sich weiterhin an sein Amt, die Macht und seine Freiheit klammert. Was dem Premier, dem längst dienenden in der Geschichte Israels, der im Juli Gründervater David Ben-Gurion überflügelt hat, nämlich bevorstehen könnte, hat die Justiz in zwei prominenten Fällen vorexerziert: Ex-Premier Ehud Olmert wanderte wegen eines Bestechungsaffäre ins Gefängnis, Präsident Moshe Katzav wegen sexueller Übergriffe. Israels Justiz kennt kein Pardon vor der Politprominenz.
„Ein harter und trauriger Tag“
Mandelblit gab sich in einer Fernseherklärung alle Mühe, seine Entscheidung zu begründen und die Anschuldigung einer „Politjustiz“, wie sie Netanjahu später in einem Frontalangriff erheben sollte, dezidiert zurückzuweisen. Der Generalstaatsanwalt sprach von Pflicht und von einem „harten und traurigen Tag“. Immerhin hatte der ehemalige Militärrichter Mandelblit einige Jahre als Minister in der Regierung Netanjahus gedient.
Er handle im Interesse des Landes, und er habe die Entscheidung „schweren Herzens“ getroffen, sagte der 56-jährige Jurist. Mandelblit betonte, er habe die Vorwürfe gegen den Premier akribisch geprüft, auf die er einzeln einging: Bestechung mit Zigarren und Champagner, Begünstigung eines Telekom-Konzerns und versuchte Absprache mit Arnon Moses, dem Verleger der Zeitung „Jediot Ahronot“. Im Oktober – nach der zweiten Parlamentswahl – hat der Generalstaatsanwalt schließlich eine viertägige Anhörung der Netanjahu-Anwälte angesetzt. Sein Fazit: Der Ministerpräsident habe sich gravierender Vergehen schuldig gemacht. Zugleich bekräftigte Mandelblit das Rechtsstaatsprinzip: Jeder ist unschuldig – bis zum Beweis des Gegenteils durch ein Gericht. Ein Gerichtsprozess gegen Netanjahu könnte noch Monate entfernt sein.
„Bibi“ in Trump-Manier
Eine Stunde später richtete sich Benjamin Netanjahu an die Nation, und er beteuerte in einer gewundenen Ansprache seine Unschuld – und wie die Vorerhebungen an ihm und seiner Familie gezehrt hätten. Der Premier sprach von falschen Anschuldigungen, vom heiklen Zeitpunkt der Anklage und davon, dass die Vorwürfe bereits vor der ersten Knesset-Wahl in die Öffentlichkeit gelangt waren.
Die Justiz und die Polizeibehörden hätten mehrheitlich das Vertrauen der Israelis verloren, sagte er. „Alles war darauf ausgerichtet, mich zu Fall zu bringen.“ Es war gar die Rede von einem „Pztschversuch“. Am Ende seiner Verteidigungsrede drehte „Bibi“ in der Manier seines Freundes Donald Trump den Spieß um: „Es ist Zeit, die Ermittlungsbehörden zu untersuchen.“
Zunächst richtet sich das Interesse jedoch darauf, wie es politisch in Israel weitergeht. Denn Netanjahu hat nie Zweifel daran gelassen, dass er selbst im Fall einer Anklage keineswegs an Rücktritt denke. Seine Likud-Partei hat er zur Loyalität verpflichtet, und er ließ die Abgeordneten einen Treueschwur unterzeichnen. Einige könnten ihm jedoch dennoch in den Rücken fallen.
Die Karten liegen nun wieder bei Präsident Rivlin - und beim Parlament. Knapp drei Wochen bleiben nun Zeit für ein freies Spiel der Kräfte in der Knesset, um eine Koalition zustandezubringen. Womöglich findet sich am Schluss noch eine Anti-Netanjahu-Allianz – ansonsten steuert Israel im März auf eine dritten Wahl innerhalb eines Jahres zu.