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So süß ist Shakespeare, so komisch Geldwäsche

The King
The King(c) Netflix
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„The King" als Teenie-Schwarm und eine Milliardengroschenoper, japanischer Gefühlsexzess und Eddie Murphys Comeback: Empfehlungen jüngerer Käufe und Eigenproduktionen von Netflix & Co.

The King

Netflix

„Warum bellt dieser kleine Hund? Wo ist der große?” Ganz schön g’feanzt, wie Hitzkopf Harry Hotspur seinen Rivalen Thomas von Lancaster niederbügelt - und sein eigentliches Zielobjekt, den Prinzen von Wales, provoziert. Eine spannungsgeladene Szene, der nur ein kleines Detail ihr Gewicht raubt: Die Konfliktparteien auf der Walstatt sehen allesamt aus wie Gymnasiasten beim Mittelalterfest. Da dämmert’s: David Michôds “The King” ist ungeachtet seiner dramatischen Fassade gar kein düsteres Ritterepos auf Basis von Shakespeares Henriade, sondern ein Teenie-Blockbuster für die Generation Instagram. Denn Hauptdarsteller Timothée Chalamet ist für selbige spätestens seit der luftigen Romanze „Call Me By Your Name” Schmachtbub der Stunde. Hier gibt er Heinrich den Fünften als Held wider Willen. Eingangs baumeln die schwarzen Locken rebellisch im ermatteten Gesicht: Erbfolge, sinnlose Kriege, ihr könnt mich alle mal! Doch nach dem Tod des entfremdeten Vaters (Ben Mendelsohn) tritt er notgedrungen in dessen Fußstapfen, lässt sich von Höflingen manipulieren, zieht schließlich mit strenger Topffrisur in die Schlacht von Azincourt: Eine chaotische Karambolage klirrender Rüstungen. Toll in semi-komödiantischen Nebenrollen: Joel Edgerton als Falstaff, Robert Pattinson als böse französelnder Dauphin.

Dolemite Is My Name

Netflix

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, meint der abgehalfterte Entertainer Rudy Ray Moore. Und braut aus alten Sandler-Witzen eine unerhörte Kunstfigur zusammen. Sie sieht aus wie das Zerrbild eines Blaxploitation-Stars - und redet wie das größte Schandmaul weit und breit. Ihr Name? Dolemite! Mit Schneid und Achselschweiß mausert sie sich dank begeisterter afroamerikanischer Fans vom Comedy-Geheimtipp zur Kinosensation - trotz Ablehnung des Hollywood-Establishments. Eddie Murphy feiert mit dieser Hommage an einen kultigen Sonderling sein überfälliges Comeback, dahinter stecken die Autoren von Tim Burtons Außenseiterballade „Ed Wood”. Doch diesmal triumphiert die unternehmerische Hauptfigur: Ein Zeichen der Zeit.

The Forest of Love

Netflix

Jay und Fukami treffen Shin. Er ist neu in Tokio. Sie beschließen, gemeinsam einen Film zu drehen. Mit dabei: Taeko und Mitsuko. Letztere bandelt mit Joe an, einem charismatischen Hochstapler. Ehe man sichs versieht, steckt die Bande bis zum Hals in Schwierigkeiten - und knetet Klöße aus Leichenteilen. Netflix’ Prestige-Offensive beschränkt sich nicht auf die USA und Europa: Auch in Asien bietet die Firma abenteuerlustigen Autorenfilmern die Möglichkeit, sich auszutoben. Und kaum einer tobt wie Sion Sono, dessen blutig-exzessive Melodramen alle Genregrenzen sprengen. Hier strickt er aus True-Crime-Versatzstücken ein wildes Dickicht verqueren Begehrens, aus dem nur Liebe heausführt - ein bisschen.

Regisseur Sion Sono tobte sich für Netflix aus
Regisseur Sion Sono tobte sich für Netflix aus(c) Netflix/Tomojiro Kamiya

Sorry to Bother You

Amazon

Im Großraumbüro zu sitzen statt am Fließband zu schuften, heißt nicht, gegen Ausbeutung gefeit zu sein. Das weiß Cassius Green (LaKeith Stanfield) nur zu gut: Täglich müht er sich im Callcenter ab, ohne nennenswerten Erfolg. Bis er auf Anraten eines Kollegen seine „weiße” Stimme aufsetzt - und sein Verkaufstalent durch die Decke schießt. Da wird sogar der Konzerncef (Armie Hammer) hellhörig: Er will den Jungspund für ein ganz besonderes Projekt gewinnen. Blöd, dass die Belegschaft ausgerechnet jetzt zum Streik aufruft! In seinem schwarzhumorig-surrealen Regiedebüt seziert Musiker Boots Riley die Schattenseiten der modernen Arbeitswelt. Schon ein bisschen ironisch, dass es von Amazon gekauft wurde.

The Laundromat

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„Ganz ehrlich: Uns wär’s lieber gewesen, wenn das alles geheim bleibt.” Das Augenzwinkern sitzt von Anfang an locker in Steven Soderbergs Panama-Papers-Satire „The Laundromat”. Das merkt man schon an der Entscheidung, Jürgen Mossack und Ramón Fonseca, zwei Federführer des Steueroasen-Skandals, zu brechtianischen Anti-Helden zu machen, die eingangs an Martinis nippend durch prähistorisches Ödland flanieren und direkt in die Kamera plaudernd zum Geldwirtschafts-Crashkurs ausholen, als wären sie Gentleman-Diebe aus “Ocean’s Eleven”. Gespielt werden sie von Gary Oldman und Antonio Banderas; Ersterer mit herrlich windschiefem deutschen Akzent. Ihre kurzweilige Reise führt durch alle sozialen Schichten (Meryl Streep gibt den mittelständischen Widerpart) und in aller Herren Länder: So versucht Soderbergh, das komplexe Gewebe legaler Geldwäscherei auf unterhaltsame Weise zu entwirren. Wobei die zwangsironische Haltung der Milliardengroschenoper (selbst ihr Regisseur nutze Steuerschlupflöcher, heißt es an einer Stelle) ihre tragische und aktivistische Schlagseite ständig untergräbt. Übrigens: „The Laundromat” lief bei uns auch im Kino. Doch wer ihn jetzt auf der Couch nachholt, braucht kein schlechtes Gewissen haben: Seine Ästhetik ist dezidiert kleinformatig.

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