Debatte

Zwölf "Presse"-Leser, zwölf Meinungen zur Lehrer-App

Eine App zur Bewertung von Lehrern sorgt für viel Diskussionsstoff, auch bei den „Presse"-Lesern. Wir präsentieren eine Auswahl an Leserbriefen.

Ich war 8 Jahre Schüler einer öffentlichen AHS in Döbling, unter anderem 1 Jahr als Schulsprecher tätig. Was ich aus meiner Erfahrung als Schüler und meinen Gesprächen als Schulsprecher mitnehmen konnte, ist, dass nicht die App das Problem ist, sondern Folgendes: Jede Person, die LehrerIn werden will, wird es auch.  Ein Lehrer sollte aber entsprechende Kompetenzen mit sich bringen, wenn es darum geht, die nächste Generation auszubilden.  Wer die notwendigen Qualitäten nicht besitzt, darf diese Verantwortung nicht erhalten.
In meiner Schule gab es Lehrkräfte von jeder Sorte. Von einem Lehrer der bildnerischen Erziehung, der 12-Jährigen pornographische Inhalte lehrte, einer Lehrerin, bei der es keinen Experten braucht, um festzustellen, dass diese psychisch labil ist, LehrerInnen, die pädagogisch nicht in der Lage sind eine Klasse zu kontrollieren, LehrerInnen, bei denen die Hälfte jeder Klasse negativ beurteilt wird, und unter anderem natürlich eine Hand voller sehr kompetenter LehrerInnen.
Was passiert aber mit den Lehrern, die offensichtlich nicht über die nötigen Kompetenzen verfügen? Richtig: Nichts. Sie unterrichten heute noch. Ganz selten werden sie von der Schule verwiesen. Und wenn schon, werden sie einfach in einer neuen Schule angestellt.

Alexander Novak, 1180 Wien

»Fürchten sich Lehrer vor der ehrlichen Meinung der SchülerInnen? «

Wir möchten klarstellen, dass die LehrerInnen uns SchülerInnen auch bewerten dürfen. Wenn ihnen unser Verhalten oder die nicht vorhandene Pünktlichkeit nicht passt, werden wir auch von keinem beschützt und unsere Noten werden schlechter. Natürlich gehört dies zum Aufgabenbereich eines Schülers pünktlich und vorbereitet zu sein. Jedoch ist das auch eine Aufgabe des Lehrers. Mit dieser App wird uns Schülern die Möglichkeit geboten, den Lehrpersonen ihre Fehler, aber auch ihre guten Eigenschaften aufzuzeigen. Haben viele LehrerInnen einfach Angst vor einer schlechten Bewertung? Fürchten sie sich vor der ehrlichen Meinung der SchülerInnen? Das Feedback der SchülerInnen könnte doch auch positiv ausfallen oder? Auch die Lehrpersonen könnten sich aufgrund der Rückmeldung verändern und verbessern oder?
Verbesserungswürdig ist jedoch auch die App an sich. Beispielsweise war es bis vor kurzem jeder Person möglich, alle Lehrernnen verschiedenster Schulen zu beurteilen. Dies sollte unserer Meinung nach dahingehend verändert werden, dass nur noch die Schülerinnen und Schüler, die LehrerInnen der jeweiligen Schulen, die sie besuchen, zu benoten. Außerdem sollte die Bewertungs-App zukünftig auf die vielen persönlichen Daten verzichten.
Die App muss bestehen, aber auch verbessert werden! Nutzen wir doch die Chance auf konstruktives Feedback!

Hannah Trattner (14) und Carina Gerold (14), 8850 Murau

Am Anfang hielt ich diese App für entbehrlich, aber nach dem Shitstorm der über den namentlich bekannten Erfinder hereingebrochen ist, erscheint sie dringend notwendig. Den Kritik an Lehrern führt offenbar zu boshaften Reaktionen der Beurteilten. Warum ist es an den Hochschulen problemlos möglich ist die Vortragenden anonym zu beurteilen? Ein Ranking der Hochschulen wird sogar jährlich veröffentlicht! Bei Volks-, Mittelschulen und Gymnasien und deren Lehrern wäre eine derartige transparente Beurteilung für alle Beteiligten dringen d notwendig. Oder gehören die Gewerkschafter ausschließlich zu dem unfähigen Lehrpersonal und vertreten nur dieses?
Aus meiner Schulzeit, dem meiner Kinder und Enkelkinder weiß ich sehr genau, dass es nicht nur den Schülern bald klar war welche Professoren fähig, gerecht, mitreißend und oder streng waren. Schlechte Noten erzeugten nur Ärger, wenn sie unbegründet oder ungerecht vergeben wurden. Aber fast jede Kritik an einem  unfähigen Lehrpersonal schadete dem betreffenden Kind.
Deshalb dürfte auch dieses App entstanden sein!

Mag. Reinhard Fischill, 1150 Wien


Endlich kommt das Thema Lehrerfeedback auf's Tapet, nachdem es von der Bildungspolitik seit Jahrzehnten verschleppt oder ignoriert wurde:

  • Die als alleinige Aktion sicher unzureichende App wäre ohne dieses Versäumnis nicht einmal möglich, zeigt dieses plakativ auf und stößt die Diskussion nun hoffentlich in Richtung Lösung an.
  • Ein integriertes Evaluierungssystem zur Qualitätssicherung kann und soll neben der Schülermeinung auch diejenige von Direktoren (eventuell zusätzlich auch Lehrerkolleg/inn/en) und Eltern einbeziehen.
  • Wenn Lehrer/innen oder deren Vertreter den Schüler/inne/n (jeden Alters!) pauschal die nötige Reife und/oder Urteilsfähigkeit absprechen, sagt das mehr über die sogenannten "Erwachsenen" aus als über die Jugendlichen. Feedback-Kultur muss man sich auch erarbeiten.
  • Nichtdifferenzierung führt zu unzulässiger Pauschalierung: Gerade die weitaus überwiegende Mehrzahl von engagierten Lehrer/inne/n hat ein Interesse daran, positive Leistungen anzuerkennen und negative aufzuzeigen um sie zu verbessern.
  • Angst vor Bewertung haben immer nur jene, die das auch tatsächlich nötig haben.

Dr. Franz Reitbauer, 4431 Haidershofen


Dass eine Möglichkeit für Eltern und Schüler sich zur Qualität von Lehrpersonal und Schule äussern zu können nicht darin bestehen kann, völlig willkürlich und anonym Urteile zu fällen, versteht sich von selbst. Ebenso wie der Umstand, dass das unmöglich in Zusammenhang  mit einer Geschäftsidee dritter stehen kann. Was ich aber – u.a. auch nach zwei Jahren als Elternvereinsobmann - nicht nachvollziehen kann: Warum setzt sie sich nicht mit dem zugrundeliegenden Problem auseinander. Dem Versagen der Bildungspolitik und dem völligen Fehlen jeglichen Qualitätsmanagements beim „Apparat“ wie bei den Lehrenden. Warum werden denn die oft desaströsen Testergebnisse streng vertraulich unter Verschluss gehalten, warum wird das Lehrpersonal, welches schlechte Ergebnisse produziert nicht nachgeschult (Semesterferien..!), warum wird ungeeignetes Lehrpersonal nicht aus dem Verkehr gezogen..? Weil es per Definition niemals am Lehrpersonal liegen kann und darf!
Und genau darunter leiden in Wirklichkeit unsere Kinder und wir Eltern genauso, wie das gute Lehrpersonal…
Und genau deswegen wäre die App eine legitime Notwehr, -wenn sie seriös aufgesetzt und nicht (primär) dem schnöden Mammon dienen würde.

DI Markus Reicher, 9210 Pörtschach


Bemerkenswert: der Verfasser einer App - gegen die die Lehrergewerkschaft alle verfügbaren Geschütze auffährt, andere Kritik ist mit zumindest nicht aufgefallen – erhält eine große Zahl an Hasspostings. Woher die wohl kommen mögen? Wie weit geht die Enthemmung in den sozialen Medien? Hoffentlich sind es nicht Hassposter, die unseren Kindern ethisches Verhalten und Verantwortung für ihre Meldungen im Netz beibringen sollen!

Dr. Martin Nagiller, 6330 Kufstein

»Sollen sich die selbsternannten Expertinnen und Experten in die Klassen stellen und ausprobieren wie "leicht" es ist, Kinder und Jugendliche für das Lernen zu begeistern.«

Ich war über 40 Jahre begeisterte Lehrerin. Zu vielen meiner ehemaligen Schülerinnen und Schülern habe ich noch immer Kontakt. Die Beziehung zwischen Lehrern-Schülern-Eltern war immer sehr persönlich und von Respekt und Wohlwollen geprägt.
Wir hatten Hospitationen bzw. Unterrichtsbeobachtungen von Inspektoren und Direktoren.
In den letzten Jahren wurde es für Lehrer immer schwieriger, den Spagat zwischen lehren, erziehen, den Schülern unsere Sprache und unsere Kultur nahezubringen zu machen. Was zunehmend fehlt, ist die Wertschätzung den Lehrern gegenüber. Dazu kommt, dass Lehrer, die von Schülern etwas fordern, nicht immer die beliebtesten sind.
Ich befürchte,dass die Beurteilung von Lehrern durch Eltern und Schüler nicht immer objektiv sind und die Mängel unseres Schulsystems und die oft fehlende Lernwilligkeit nicht wirklich fördern werden.
Ich befürchte auch, dass dies in Zukunft zu einem Lehrermangel führen wird. Dann sollen sich die selbsternannten Expertinnen und Experten in die Klassen stellen und ausprobieren wie "leicht" es ist, Kinder und Jugendliche für das Lernen zu begeistern.

Annemarie Himmel (auf Facebook)

Als Direktorin einer Wiener AHS hat mich das Erscheinen der App „Lernsieg“ höchst betroffen und auch traurig macht. Selbstverständlich sollen Schüler/innen in geeigneter Weise ihren Lehrer/innen Feedback geben können und bei unlösbaren Konflikten uns Schulleiter/innen kontaktieren. Eine gute Feedback- und Konfliktkultur ist die Grundlage für ein funktionierendes Qualitätsmanagement und wird in den meisten Schulen auch so gelebt.
Viele meiner Lehrer/innen bekommen alljährlich von ihren Schüler/innen ein sehr gutes Feedback, Eltern berichten mir über ihre Zufriedenheit, bei Hospitationen erlebe ich schöne Unterrichtsstunden in einem guten Klima. Bei Projekten und Schulinitiativen kann ich mich auf meine Lehrer/innen verlassen. Jetzt erlebe ich, wie dieselben Lehrer/innen in aller Öffentlichkeit einer „Bewertungsmöglichkeit“ preisgegeben werden, die wenig bis gar nichts über deren tatsächliche Qualität aussagt. Eine App, die leider vorrangig für Personen attraktiv ist, die einer persönlichen Frustration in wenig geeigneter Weise Ausdruck verleihen wollen, als für jene, die eine faire, wertschätzende und sinnvolle Feedback-Kultur leben. So wird – gesteuert durch eine kleine aber jetzt mächtige Gruppe -  in vielen Fällen ein Bild von Lehrer/innen entworfen, welches diese weit unter ihrem Wert zeigt. Und dies für alle Schüler/innen, Kolleg/innen, Vorgesetzte, Freunde, etc. sichtbar. Und auch wenn man als selbst Betroffene/r aus regelmäßigen Rückmeldungen heraus weiß, dass die „Sterne“ einem nicht gerecht werden, kann man sich dagegen nicht wehren.

Mag. Marion Waldmann, GRG 3 Kundmanngasse

»Schlechte Noten erzeugten nur Ärger, wenn sie unbegründet oder ungerecht vergeben wurden. «

Eine Datenschutzverordnung jagt die andere, Persönlichkeitsrechte müssen gesichert erscheinen, Schülerzeichnungen dürfen nur mehr ohne Angabe des Namens ausgestellt werden, Noten sollen nicht mehr vor versammelter Klasse - um jede Diskrimierung zu vermeiden - „preisgegeben“ werden,  in Jahresberichten unterlässt man es mittlerweile, Schüler mit ausgezeichnetem Erfolg durch Sternchen hervorzuheben.
Welche eine Diskrepanz zu der „grandiosen“ Idee Lehrer mittels einer App - welche Investorengruppe steckt dahinter? - öffentlich mit Sternen zu bewerten! Die Zensoren verbergen sich der Anonymität, der einzelne Pädagoge freilich darf mit vollem Namen vorgeführt werden.
Der Willkür und der Manipulation sind Tür und Tor geöffnet, Kampagnen lassen sich durch Absprache entsprechend steuern. Wer die Usancen in den (a)sozialen Netzwerken kennt, wer weiß, wie sehr die Hemmungen in diesen Medien schwinden, wird kaum annehmen, dass derartige Bewertungen überwiegend sachlich und „sine ira et studio“ erfolgen.
Niemand wird sich gegen ein sachliches Feedback wehren, ein Instrumentarium freilich, dem man schutzlos ausgeliefert ist, mag ein Symbol für die Sensationslust unserer Gesellschaft sein, für ein konstruktives Klima wird es keinen Beitrag leisten.

Mag. Gerald Gruber, 3353 Seitenstetten


Besucht der Bewertende die Schule, die er da bewertet, wirklich selber? Entspricht seine Bewertung der Realität?
Jedermann - von den Schülern über ihre Eltern bis zu "Bosnigln", Spaßmachern und anonymen "Hackl ins Kreuz"-Schmeißern - kann Bewertungen abgeben. Rache für wohlverdientes Nichtgenügend nicht ausgeschlossen. Dass es so nicht geht, ist wohl jedermann/frau klar.

Dr. Peter Mitmasser, 2351 Wr. Neudorf


Eltern würd ich dann aber auch sehr gern bewerten. Grad die die ohnehin alle Erziehungs-Aufgaben an die Schule abwälzen und sich wundern dass man mit ihren Kindern mal streng ist

Lorenz Hinterberger (auf Facebook)


Da werden sich die Eltern aber freuen, wenn ihnen jetzt 25% des kommenden Lehrerfeedbacks verpflichtend (!) auferlegt werden. (Die verbleibenden 75% stammen zu gleichen Teilen von Schülern, Kollegen und Direktoren.) Ich stelle mir eine Mutter vor, welche die Musiklehrerin ihrer 17-jährigen Tochter nicht einmal persönlich kennt, weil es 1. in Musik eh keine Probleme gibt und 2. Musik in der HAK sowieso ein Nebenfach ist. Wer wird dieser Mutter eine Entschuldigung dafür schreiben, dass sie noch nie in einer Sprechstunde war?

Mag. Erich Wallner, 3100 St. Pölten
(zum Artikel: Lehrer sollen ab Herbst von Schülern bewertet werden)

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