Flohmarktfunde als Goldstücke

Aus ungewöhnlichen Gegenständen lässt sich Stadtgeschichte ablesen.

Der Lokalhistoriker Herbert Biedermann ist begeisterter Flohmarkt-Stöberer. Anhand einiger seiner Fundstücke erzählt er äußerst Skurriles und manch Nachdenkliches aus der Wiener Stadtgeschichte. Was verbirgt sich hinter einer kleinen Hundemarke aus Metall (das Ende der Hundefängerei 1869) oder dem Fläschchen mit „Zacherls Insektenpulver“? Oder hinter der unscheinbaren „Korrespondenzkarte“ an einen uns unbekannten Georg Wegnheider in Wien III? Die Briefmarke mit Hitlers Konterfei ist mit „Österreich“ überdruckt, und der Poststempel weist auf 2. Mai 1945, 11Uhr, hin. Postamt 110 Wien. Dieses befand sich in der Währinger Schulgasse und war das erste Postamt im 18. Bezirk, das nach dem Krieg wieder den Betrieb aufgenommen hatte. Der Flohmarktfund erweist sich also auch in diesem Fall als Goldstück.

Apropos Post: 1872 tauchte der Plan auf, innerhalb der Gürtelbezirke ein Röhrensystem knapp unter der Straßenoberfläche zu verlegen, in dem man pneumatisch Briefe von einem Postamt zum anderen hin- und herschießen konnte. Das System funktionierte tatsächlich perfekt zwischen zehn Poststationen, erst der Weltkrieg beschädigte es derart, dass es 1956 aufgelassen wurde. Der zweite Plan, Leichen von den Aufbahrungshallen per Rohrpost zum Zentralfriedhof zu schießen, wurde nicht verwirklicht...

Und welche Adresse haben Sie?

1930 wurde der freie Platz vor dem größten Gemeindebau des Roten Wiens feierlich als Karl-Marx-Platz benannt. Es erstaunt, dass der christlich-soziale „Ständestaat“ erst 1935 diese Ehrung des kommunistischen Vordenkers zurücknahm. Wahrscheinlich hatte man dringlichere Sorgen. Heute heißt die Fläche 12.-Februar-Platz. Marx wird's verschmerzen, zumal der dahinter liegende Bau eine prestigeträchtigere Ehrung darstellt.

Peter Autengruber hat vor Jahren mit seinem Lexikon der Wiener Straßennamen ein bleibendes Standardwerk geschaffen, das er nun um verschwundene Straßennamen ergänzt. Zum Beispiel der Michaelerplatz. Diesen benannte man 1848 als Constitutionsplatz, ebenso Fleischmarkt und Schönlaterngasse, wo im Zuge der bürgerlichen Revolution Barrikaden errichtet worden waren: „Barrikadenstraße“ hieß es dort. Welche Ringstraßen-Abschnitte hießen einst Kolowrat-, Franzens- oder Kaiser-Wilhelm-Ring? Manche historisch belasteten Namen sind verschwunden, wie der Adolf-Hitler-Platz vor dem Rathaus oder der Stalinplatz (1945–1955) vor dem Palais Schwarzenberg. Der Platz hinter der Votivkirche hieß schon Maximilianplatz, Freiheitsplatz, Dollfußplatz, Hermann-Göring-Platz, derzeit Rooseveltplatz. Andere Straßenzüge mussten im Zuge der Eingemeindungen Ende des 19. Jahrhunderts umbenannt werden, weil fast jeder Vorort eine Herrengasse oder eine Schulgasse hatte. Der Wandel der Straßennamen dokumentiert auch die turbulenten Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Alle Zäsuren (1918, 1934, 1938, 1945) sind hier abzulesen. Im NS-Regime gab es sogar Benennungen nach lebenden Zeit(Partei)genossen – 1945 wieder abgeschafft.

Zu den Büchern:

Wiener Fundstücke.
Eine Stadtgeschichte in kuriosen und unbekannten Objekten
Sutton-Verlag, 117 Seiten,
19,99 Euro

Peter Autengruber
Verschwundene Wiener Straßennamen

Edition Winkler-Hermaden, 124 Seiten, 19,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2019)

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