Kammerspiele

Freud und Leid im Orientexpress

Biederer Krimi, das historisch getreue Ambiente gefällt (Bühne: Walter Vogelweider).
Biederer Krimi, das historisch getreue Ambiente gefällt (Bühne: Walter Vogelweider).(c) © Astrid Knie
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Werner Sobotka inszenierte brav den Hit von Agatha Christie. Für großes Schauspieler-Theater fehlt teilweise die Besetzung. Siegfried Walther gefällt als Detektiv.

Warum musste Agatha Christies Krimiklassiker „Mord im Orientexpress“ 85 Jahre nach seinem Erscheinen auf die Bühne? Zwei großartige Verfilmungen gab es, von Sidney Lumet und Kenneth Branagh (erst 2017). Ken Ludwig, mit „Lend me a Tenor“ seinerseits ein Hitlieferant, die Komödie wurde jahrelang in den Kammerspielen gezeigt, hat das Stück geschrieben. Jetzt wird es landauf landab gespielt (ab 2020 in Berlin mit Katharina Thalbach). Die Reisebranche freut die stete Aufmerksamkeit für den berühmten Zug, sie bietet seit Jahren kostspielige Trips an.

Mit der Aufführung in den Kammerspielen, die seit Donnerstagabend zu erleben ist, sind wohl jene am besten bedient, die nichts über die Geschichte wissen. Aber werden sie auch hingehen? „Ich fand's nicht gut, Witze, die nicht zünden, und gefallen hat mir eigentlich nur der Detektiv“, meinte eine junge Frau. Und eine ältere warnte die Rezensentin: „Vergleich das Theater bloß nicht mit den Filmen!“ Warum eigentlich nicht?

Gerade die Josefstadt pflegte und pflegt doch ihre Originale, solche tragen auch die Filme. Werner Sobotka hat inszeniert, ziemlich bieder, vermutlich musste er das tun wegen der Rechte, die bei solchen Wander-Klassikern streng sind. Formschön gelang Walter Vogelweider sein Bühnenbild, freilich sind die Abteile im Luxuszug so eng wie die Schlafkojen in heutigen Nightjets.

Die Besetzung ist recht gemischt. Siegfried Walther versucht Französisch zu parlieren, stärker punktet er mit belgischer Schrulligkeit als Hercule Poirot, dessen moralische Gesinnung von einer noblen Bande herausgefordert wird, die den Mord an einem Kind rächen will. Agatha Christie erlebte Angst um ihre eigene Tochter, als sie auf Reisen war. Sie studierte Zugunglücke. Am meisten aber schockierte die Welt 1932, als Europa bereits am Weg in den II. Weltkrieg war, die Entführung und Ermordung des Babys von Charles Lindbergh, eine bestialische Tat. Damals waren Morde an Kindern noch nicht TV-Alltag.

Marianne Nentwich als Gräfin

Bei Christie treibt sich der Mörder unter falschem Namen in Europa herum. Drohbriefe schrecken ihn auf. Wer jedoch traut sich, tatsächlich die Waffe zu zücken? Die vielfach gebrochenen Biografien der Figuren werden nicht näher untersucht. Marianne Nentwich sondert markige Sprüche als Prinzessin Dragomiroff ab, Paul Matić verblüfft als zwielichtiger Reisender mehr denn als britischer Oberst, Therese Lohner jammert zum Steinerweichen als idealistisches Kindermädchen Greta Ohlsson und bei Ulli Maier fragt man sich, ob ihr das Format der Schreckschraube wirklich so liegt, wie sie mit Aplomb vorgibt.

Die Aufführung ist nicht übel, es hätte schlimmer kommen können, wenn sich jemand einen Stern wie „Mord im Orientexpress“ vom Himmel holen will. Aber zu behaupten, die Kammerspiele hätten diesen Chimborasso der Krimiliteratur souverän erklommen, wäre übertrieben. Immerhin erinnert dieser Abend daran, wer Agatha Christie war und wie viele Dilettanten heute im Krimigewerbe herumstolpern, das sich dem Fremdenverkehr verschrieben hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2019)

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