Kolumne zum Tag

Nachts am Würstelstand

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Ich fahre nachts mit dem Rad durch die Stadt und muss an einer Ampel stehen bleiben, die sich gegenüber von einem gut bevölkerten Würstelstand befindet.

Es ist eine dieser Novembernächte mit diesiger Ungemütlichkeit, aber wer um ein Uhr einen Würstelstand aufsucht, der dürfte sich ohnehin nicht auf der Suche nach Kerzenschein und Zimtgeruch befinden. Jedenfalls sehe ich, wie ein Mann sich plötzlich nach vorn beugt und ein brutales, schreiähnliches Geräusch rauslässt. Und zwar derart laut, dass einer neben ihm vor lauter Schreck sein Dosenbier fallen lässt, ein paar andere einen Schritt nach hinten hüpfen, der Würstelkoch vor lauter Entsetzen nach draußen schaut wie. . . ein entsetzter Würstelkoch. Ein Paar geht sofort zu besagtem Mann und dürfte ihn wohl fragen, ob alles in Ordnung sei. Der Mann bäumt sich wieder auf – er wäre fast vornüber auf den Kopf gefallen – und schaut verwirrt alle um sich herum an, die ihn verwirrt anstarren. Er sagt irgendwas, jemand antwortet, er sagt nochmals was, ich kann es leider nicht hören, aber dann fangen alle an, stürmisch zu lachen. Endlich habe ich Grün, ich will unbedingt mitmachen bei dieser dadaistischen Performance. Aber bis ich zum Würstelstand komme, ist die Aufregung schon vorbei. Stellt sich heraus: Der Mann hat nur geniest. Und ist gerade dabei, den Typen, der sein Bier fallen hat lassen, auf ein Bier einzuladen. Der ganze Pulk kannte sich offenbar nicht, jetzt reden alle gesellig miteinander. Muss man denn, frage ich mich, sich fast die Ambulanz herbeiniesen, damit in Wien die Menschen freundlich zusammenkommen?

Die kleinen Momente machen das Ganze aus. Auf meinem Weg zur U-Bahn muss ich an einer lästigen Baustelle vorbei. Vor mir schleppt eine Frau mühselig zwei Einkaufstaschen, ich bin ohne Einkaufstaschen genauso gelaunt, und plötzlich lässt der Baum über uns seine herbstlichen Blätter fliegen. Wir bleiben stehen und lächeln dümmlich die Baumkrone an. Offenbar ist ein Arbeiter im Bagger beim Rückwärtsfahren mit dem Stamm kollidiert. Er sieht uns. Und stößt den Stamm noch einmal leicht an, für ein bisschen mehr Konfetti.

E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2019)

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