Innenminister Peschorn

Größte Risikofaktoren bei Frauenmorden Arbeitslosigkeit und Trennung

Innenminister Peschorn und Frauenministerin Stilling
Innenminister Peschorn und Frauenministerin StillingAPA/HANS PUNZ
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Nach einer Häufung von Frauenmorden Anfang dieses Jahres hat eine Expertengruppe vollendete und versuchte Tötungsdelikte untersucht. Arbeitslosigkeit sowie eine Trennung rangieren als Risikofaktoren an der Spitze.

Nach einer Häufung von Frauenmorden Anfang dieses Jahres hat eine Expertengruppe vollendete und versuchte Tötungsdelikte minutiös untersucht. Arbeitslosigkeit sowie eine Trennung rangieren als Risikofaktoren an der Spitze, hieß es bei der Vorstellung des Berichts im Innenministerium. Die vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen setzen bei Gefährdungserkennung, Behördenvernetzung und Täterarbeit an.

Die vom damaligen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) im Bundeskriminalamt (BK) eingesetzte Screening-Gruppe rollte alle geklärten Mordfälle auf, die von 1. Jänner 2018 bis 25. Jänner 2019 begangen wurden. Davon waren 55 vollendete Tötungsdelikte und die Opfer zu 66 Prozent weiblich. In 92 Prozent der Fälle kannten Opfer und Täter einander - 54 Prozent waren verwandt oder bekannt und 38 Prozent lebten entweder in einer Intimbeziehung bzw. in Trennung. Die Experten sollten "die speziellen Merkmale für den Anstieg der Morde feststellen" und mit Fokus auf die Frauenmorde die Motiv- und Ausgangslage untersuchen, erläuterte Innenminister Wolfgang Peschorn.

Alle Opfer der in einer Beziehung verübten Tötungsdelikte waren weiblich, die Täter waren zu 50 Prozent fremde Staatsbürger. In 47 Prozent der Fälle war die Beziehung bereits beendet. Arbeitslosigkeit oder Frühpensionierungen (48 Prozent) sowie Trennung(sabsicht)en (46 Prozent) sind die häufigsten Risikofaktoren, gefolgt von Alkohol- oder Drogenmissbrauch (30 Prozent). Ein weiteres Alarmzeichen: In 44 Prozent der Fälle war bereits ein Betretungsverbot verhängt worden, bei 16 Prozent sogar mehrmals.

Kompetenzteams in den Bezirken

Die Experten wollen der Polizei zur verbesserten Gefährdungserkennung ein methodisches Werkzeug zur Risikoeinschätzung in die Hand geben sowie einen Leitfaden für Vernehmungen nach Gewalt in der Partnerschaft. Bei den Bezirkspolizeikommanden sollen Kompetenzteams eingerichtet werden, sagte BK-Direktor Franz Lang: "Die 28.000 Polizisten draußen brauchen Rückfragemöglichkeiten."

Eine bessere Zusammenarbeit der Behörden sollen eine Ausweitung der Leserechte im PAD (Polizeiprogramm zum Protokollieren von Anzeigen und Berichten) und eine Adaptierung der Gewaltschutzdatei im Hinblick auf die Risikoeinschätzung von Tätern bringen. Zudem wurde eine Evaluierungsstelle für Tötungsdelikte ins Spiel gebracht. Unter der Prämisse "Täterarbeit ist Opferschutz" wird für eine Ausweitung der sogenannten Gefährderansprachen votiert sowie für verpflichtende Anti-Aggressionstrainings nach Betretungsverboten.

Generaldir. öffentliche Sicherheit Franz Lang, Innenminister Wolfgang Peschorn, Frauenministerin Ines Stilling, Hanna Rumpold, Institut für Strafrecht und Kriminologie, Universität Wien
Generaldir. öffentliche Sicherheit Franz Lang, Innenminister Wolfgang Peschorn, Frauenministerin Ines Stilling, Hanna Rumpold, Institut für Strafrecht und Kriminologie, Universität Wien APA/HANS PUNZ

Erste Schritte zur Umsetzung der vorgeschlagenen neuen Maßnahmen würden schon in den nächsten Wochen gesetzt und an die kommende Regierung weitergereicht, versicherten Peschorn und Frauenministerin Ines Stilling. Auf die dafür notwendigen Mittel angesprochen, meinte Stilling, aktuell reiche das Budget "gerade einmal so" für die Aufrechterhaltung des bestehenden Angebots. Für den Bereich Prävention könne gar nicht genug getan werden, meinte Peschorn.

Heuer sei die Anzahl der Morde insgesamt im Vergleich zum Vorjahr wieder rückläufig, fügte der Innenminister an. Von Jänner bis Oktober 2018 verzeichneten die Behörden demnach 57 Opfer (33 Frauen und 24 Männer), im Vergleichszeitraum 2019 waren es 51 Opfer (32 Frauen und 19 Männer), "ein Rückgang von rund zehn Prozent", so Peschorn.

Tatwaffe Messer im Fokus der Prävention

Bei der Prävention von Gewalttaten rückte zuletzt das Messer als Tatwaffe stark in den Fokus. In 59 Prozent der versuchten und vollendeten Tötungsdelikte, die eine beim Bundeskriminalamt (BK) etablierte Expertengruppe untersucht hat, war eine Stichwaffe das Tatmittel. Die "ständige Verfügbarkeit einer Stichwaffe im öffentlichen Raum" werde thematisiert werden müssen, sagte BK-Direktor Franz Lang.

"Im österreichischen Waffenrecht sind Messer nur bedingt erfasst", erläuterte Lang. "Diesen Komplex müssen wir uns anschauen." Wiewohl bei vielen Frauenmorden - sogenannte Beziehungstaten, die häufig im Wohnbereich verübt werden - zu einem großen Teil Küchenmesser zur Tatwaffe werden, sind bei Taten außerhalb oft Klapp-, Hieb- und Stichmesser im Einsatz.

Man könnte sich "Gedanken machen über das Waffengesetz" und die Definition verbotener Stichwaffen "verschärfen", regte der BK-Chef an. Keine Waffe im Sinne des Gesetze sei etwa das Einhandmesser mit sechs Zentimeter langer Klinge und einhändig schnell zu öffnen, wodurch ein Angreifer die zweite Hand frei habe, um das Opfer zu packen. Generell dokumentiere die Kriminalstatistik bezüglich des Tatmittels Stichwaffe von 2014 bis 2018 bei vollendeten Mordfällen eine zweieinhalbfache und bei versuchten Morden eine dreifache Steigerung, erläuterte Lang.

Die Screening-Gruppe aus Polizisten, Kriminalpsychologen und Experten des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien hat auch die Herkunft von Tatverdächtigen und Opfern dokumentiert. Rund die Hälfte der Morde sei "von Fremden" begangen worden, daher sollen deren "Communities" in die Präventionsarbeit einbezogen werden. "Peers" (Gleichaltrige bzw. sozial Gleichgestellte; Anm.) mit dem gleichen Hintergrund sollen "bei Tätern mit Migrationshintergrund die Täterarbeit bei der Gefährderansprache unterstützen".

"Dass allgemeine Prävention für alle gültig ist, das gibt es nicht mehr. Man muss spezifisch arbeiten", betonte Lang. Bei den als Täter ermittelten "Fremden" handelte es sich laut dem Bericht um Menschen ohne Aufenthaltsstatus (16 Prozent), EU-Bürger (13 Prozent), Asylwerber (neun Prozent) und Asylberechtigte bzw. subsidiär Schutzberechtigte (fünf Prozent). Dem BK-Chef war es zudem ein Anliegen, das Vorurteil auszuräumen, wonach tendenziell "fremdländische Täter inländische Opfer finden - das ist kaum der Fall".

Wichtig für die Prävention sei hingegen: "Viele der Täter haben schon eine kriminalhistorische Geschichte." Hier, und bei der Vernetzung der Behörden, könne man ansetzen. "Über (Risikofaktoren wie; Anm.) Arbeitslosigkeit wissen die Familie, die Nachbarn und das AMS Bescheid, aber nicht die Polizei, beim Sorgerecht ist man in der Zivilgerichtsbarkeit", nannte Lang als Beispiele.

(APA)

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