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Widerlegte Ghostwriter-These: Molières Stücke nicht von Corneille

Molière.
Molière.(c) imago stock&people
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Computerlinguisten verglichen über 60 Dramen der beiden.

Viel Zeit haben Forscher darauf verwendet, eine unter Philologen kaum ernst genommene These zu widerlegen: Molière habe seine Stücke nicht selbst geschrieben; ein nicht minder berühmter literarischer Zeitgenosse, Pierre Corneille, sei sein Ghostwriter gewesen. Seit hundert Jahren ist die Theorie nicht umzubringen, Linguisten ließen sie Anfang des neuen Jahrtausends sogar neu aufleben. Grund genug für die französischen Computerlinguisten Florian Cafiero und Jean-Baptiste Camps, zum 100. Jahrestag der These einen in drei Jahren erarbeiteten Gegenbeweis zu liefern.

Ihre Techniken hätte sich der Dichter Pierre Louÿs, Urheber der Ghostwriter-Theorie, nicht träumen lassen, als er sich 1919 auf die Ähnlichkeiten zwischen Corneilles und Molières Texten versteifte. Am Leben gehalten wurde seine Idee lange Zeit nur von einzelnen Schriftstellern und Hobbyforschern. Doch dann schienen sie computerlinguistische Untersuchungen zu bestätigen: eine von zwei Forschern in Grenoble 2001, eine von zwei Forschern in Sankt Petersburg 2010. Die eine verglich das Vokabular von insgesamt über 60 Dramen Molières und Corneilles, die andere nutzte einen Algorithmus zur Syntaxanalyse.

Die nun in „Science Advances“ veröffentlichte Studie ist freilich die weitaus umfassendste computerlinguistische Untersuchung dazu. Sie beruht auf Techniken zur Autorenidentifizierung, wie sie etwa bei mittelalterlichen Texten oder auch von Geheimdiensten erfolgreich angewendet werden. Konkret untersucht wurden hier etwa Reime, Grammatik, Vokabular und Funktionswörter – und zwar nicht nur bei Molière und Corneille, sondern auch in Texten dichterischer Zeitgenossen der beiden, wie Scarron und Thomas Corneille. Dabei ergab sich zwischen Letzteren und Molière viel mehr Nähe als zwischen Molière und Pierre Corneille, ja: Corneilles Texte waren bei Weitem die größten „Abweichler“. Und Molières Texte deutlich anders als die von allen untersuchten Zeitgenossen. (sim)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2019)

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