Über das toxische Männerbild der „kritischen“ Männerforschung.
Im Zusammenhang mit den jüngsten Berichten über Beziehungsmorde in Österreich 2018 werden wir mancherorts dahingehend belehrt, dass Männer im Patriarchat wegen der Gewalt gegen Frauen und Mädchen allesamt „problembehaftet“ sind – so beispielsweise ein „kritischer Männerforscher“ der Uni Innsbruck kürzlich im „Standard“. Männer im Patriarchat hätten – ob sie wollen oder nicht – „die Grundstrukturen toxischer Männlichkeit in sich“, halt nur in unterschiedlicher Ausprägung, so der Soziologe. Die Bandbreite reicht von der „extremsten“ Ausprägung, nämlich dem „Mord“, bis zu denjenigen, die „etwa ein Verständnis für Gewalt“ hätten, etwa „weil das Opfer den Täter angeblich betrogen habe“. Na, da bin ich aber dankbar, dass mir eine so breite Palette männlicher Selbstverortung zur Verfügung gestellt wird!
Im Ernst: Dies ist wieder ein Beispiel dafür, wie eine einseitige, soziologisierende Gendertheorie Pauschalaussagen trifft, die mehr verdecken als aufklären. Diese „strukturalistische“ Sichtweise behauptet, dass es aus bestimmten Gesellschaftsstrukturen quasi kein Entrinnen gibt, sodass „man/n“ sich als potenzieller Täter (Mörder?) oder fragwürdiger Männerversteher wiederfindet. Diese Sichtweise nützt niemandem, weder prophylaktisch noch bei der Täterarbeit, und auch nicht Studierenden, die einmal mit solchen Fällen zu tun haben werden.
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Männer leiden anders
Dass auch Männer selbst teilweise unter diesen Strukturen leiden, wird als „psychologisierend“ abgewertet, weil der Eindruck entstünde, dass Männer „genauso stark wie Frauen unter der Geschlechterhierarchie leiden“ – was aber niemand fachlich Ernstzunehmender behauptet. Männer leiden vielmehr anders – zumindest jene, die unter stereotypen Männlichkeitsmustern persönlich oder gesundheitlich Schaden genommen haben. Das hat nichts – wie oft unterstellt – mit Wehleidigkeit oder Abwiegelung von Schuld zu tun, sondern ist ein ernstes gesellschaftliches Problem.
Macht und Ohnmacht
Wer wirklich etwas gegen patriarchale Gewaltneigung tun will, muss die jeweiligen biografischen „Gewaltkarrieren“ von Tätern als Sozialisations- und Entwicklungsproblem ernst nehmen. Auch die immer nur auf Männermacht zielende Behauptung, „wer von wem in Beziehungen abhängig ist“ und dadurch Gewalt ausüben kann oder erleiden muss, ist eine Vereinfachung: Machtbeziehungen weisen trotz des Anscheins klarer Machtverteilung, finanzieller Abhängigkeit von Frauen usw. oft eine tiefe psychische Abhängigkeit und Ohnmacht auf.
„Wer Macht demonstriert, offenbart seine Ohnmacht“, hat der deutsche Philosoph Andreas Tenzer einmal gesagt. Insofern müssen wir danach fragen, was Gewalttäter dazu treibt, einst geliebte Menschen gewaltsam zu attackieren oder gar zu töten. Ohnmacht aber gilt als „total unmännlich“, und nicht zufällig gelten Trennungssituationen als Gewaltanlass. Rein soziologische Analysen ignorieren dies offenbar.
Unbestritten bietet das Patriarchat für diese Formen der Gewalt eine geeignete Basis (übrigens auch für jene gegen Buben!). Aber: Auch wenn eine Mehrheit der Gewalttätigen männlich ist – die große Mehrheit der Männer missbraucht, vergewaltigt, schlägt und misshandelt nicht. Wir können nicht darauf warten, bis das Patriarchat als solches verschwindet. Eine Gesellschaft ändere sich nur, „wenn man sich selbst ändert“, meint der Soziologe: Also doch etwas Psychologisches? Einseitig theoretische Reflexion wird nämlich nur eines bewirken: nichts.
Der Autor
Josef Christian Aigner ist emeritierter Professor für Psychosoziale Arbeit und Psychoanalytische Pädagogik an der Universität Innsbruck.
E-Mails an: debatte@diepresse.com
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