Film über Architektur

Der Raum als Gefühlsverstärker

Vielseitig. Regisseur Christoph Schaub liebt Komödie genauso wie Architekturfilm.
Vielseitig. Regisseur Christoph Schaub liebt Komödie genauso wie Architekturfilm.(c) Christine Ebenthal
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Der Schweizer Regisseur Christoph Schaub fühlt sich filmisch in die „Architektur der Unendlichkeit" ein.

Der Regisseur ist auch stets Erzähler. Und wenn man einen Film über Architektur macht, dann legt sich gleich noch die eine narrative Ebene über die andere. Denn die Architektur allein, sie erzählt schon so einiges. Und dann reden da noch andere mit: die Architekten über ihre Architektur. Fast ein Hochhaus an Subtexten und Metaebenen entsteht da. Auch wenn es schließlich um die Gefühle geht, die Architektur auslöst, selbst wenn viele für sie längst taub geworden zu sein scheinen. Es gibt noch Orte, die sie triggern. Und Menschen, die hellhörig und feinfühlig sind dafür, was Architektur manchmal flüstert, manchmal schreit. Wie der Schweizer Filmemacher Christoph Schaub. Erfolgreiche Komödien stehen genauso in seiner Filmografie wie Architekturfilme. „Architektur umgibt und umhüllt uns ständig. Und wenn man sie sich erschließt, hat man jeden Tag so viel mehr, was man begreifen kann und darf", erklärt Schaub seine Faszination für die gebaute Umwelt. Und auch dafür, unter welchen Bedingungen und mit welchen Wirkungen sie entsteht.

Meister. Peter Zumthor beherrscht die sinnlichen Seiten des Bauens.
Meister. Peter Zumthor beherrscht die sinnlichen Seiten des Bauens.(c) Beigestellt

Manche Architekturen gerieren sich so erhaben und so atmosphärendicht, dass man sie sich gar nicht mehr wegdenken könnte: Kirchen und Kathedralen etwa. Dabei Kathedralen auch, wenn sie einmal keine Kirchen sind, sondern schlicht Bahnhofshallen. In diese Welt und dabei auch ins Undenkbare, nämlich die Ewigkeit, ins Unsichtbare der Architektur, in die Wirkung der Räume, hat sich Christoph Schaub in seinem aktuellen Architekturfilm eingefühlt – visuell, akustisch, dokumentarisch: „Architektur der Unendlichkeit" will das Unfassbare fassen. So einfach und schwierig ist die primäre Aufgabe, der sich Regisseur und die Gestalter, die er befragt, da stellen. Architekt Peter Zumthor beschreibt sie am Anfang des Films so: „Schon wenn man die erste Hütte baut, schneidet man gleichsam ein Stück aus dem unendlichen Raum aus, umrahmt ihn, schließt ihn ab." Zumthor ist ein Experte für die sinnlicheren Seiten der gebauten Welt, die weit hinauszureichen scheint über das, was, Augen, Ohren und Haut von Architektur wahrnehmen können. Mit der Bruder-Klaus-Feldkapelle in Mechernich-Wachendorf in Deutschland ist ihm wieder so ein Ort gelungen. So ein Schwellenbereich, der den Übertritt von der einen in die andere Sphäre einfach wie eindrucksvoll inszeniert.

Ruheorte. ­Museo La Con­giunta im Tessin, entworfen von Peter Märkli.
Ruheorte. ­Museo La Con­giunta im Tessin, entworfen von Peter Märkli.(c) Beigestellt

»„Architektur ist, wie aus dem unendlichen Raum ein Stück auszuschneiden.“«

Sakrale Räume. Christoph Schaub erspürt mit einfühlsamer Kamera und ebenso einfühlsamen Interviews, was überhaupt spürbar werden kann in sakralen Räumen, die einen hineinziehen in eine Raumerfahrung, die sich auf keinem Bauplan abbilden ließe. Manchen Architekten und Künstlern, die zu Wort kommen, ist Schaub schon bei früheren Filmprojekten begegnet, anderen diesmal zum ersten Mal. „Aber mir war es wichtig, dass alle Gestalter, die im Film vorkommen, theoretisch gemeinsam an einem Tisch sitzen und sich gut verstehen könnten", sagt Schaub. Cristina Iglesia befragt er genauso wie Álvaro Siza Vieira, James Turrell oder auch Peter Märkli. Dieser lässt sich von Gebäuden und Kirchen ebenso sehr beindrucken, wie er selbst zu beindrucken vermag: mit den Gebäuden, die er selbst schafft. Wie La Congiunta im Tessin. Ein Bauwerk, das nicht mehr will als ein künstlerisches Werk überspannen, die Kunst des Schweizer Bildhauers Hans Josephson. Und im Film spannt ein anderer Künstler dieses Werk noch einmal so eindrucksvoll auf, nämlich akustisch: Der Schweizer Percussionist Jojo Mayer, der die Wirkung der Bilder mittels Tonspur noch intensiver in den Kinosaal überträgt. „Ich wollte unbedingt mit Jojo Mayer zusammenarbeiten. Um eine Möglichkeit zu haben, einen zusätzlichen sinnlichen Zugang in die Bilder zu legen", erzählt Schaub.

Lichtblicke. Die Emotion des Orts verdichtet sich durch Licht und Schatten.
Lichtblicke. Die Emotion des Orts verdichtet sich durch Licht und Schatten.(c) Beigestellt

Gefühlsverstärker. Denn trotz Leinwandformat und akribischer Bildkomposition sowie spektakulärer Perspektiven von Kameramann Ramón Giger: „Ein Film bleibt zweidimensional, wenn man die fehlende Dimension nicht irgendwie substituiert." Über die Lichtstimmung etwa. Oder eben über die Akustik. „Im Film ist man ja trotzdem ständig limitiert. Die Kamera sieht, was sie sieht. Aber in Wirklichkeit sehen wir in einem Raum auch, was hinter uns ist, ohne uns umzudrehen etwa", sagt Schaub. Die Kamera kann den Ort nur abtasten. Der Wahrnehmungsapparat des Menschen „scannt" hingegen das Ganze, wenn er vor Ort ist. Also heißt auch im Architekturfilm die Maxime: „Man soll sich nicht so sehr um eine möglichst realistische Wiedergabe bemühen, sondern seine eigene Interpretation der Wirklichkeit suchen", sagt Schaub. Auch die Bewegung im Raum sei im Film und im Raum eine gänzlich andere: „Das Durchschreiten mit der Kamera ist ein anderer Vorgang." Denn dieser evoziert allein schon einen Subtext, eine Konnotation, einen psychologischen Effekt. „Man muss daher den Weg und die Erzählung eher über einzelne Einstellungen führen." Schaub nähert sich den Räumen und den Emotionen, die sie evozieren, über eine Aneinanderreihung von Stillstand.

„Bird’s Nest“. Im Film beschäftigte sich Schaub mit dem Büro Herzog de ­Meuron.
„Bird’s Nest“. Im Film beschäftigte sich Schaub mit dem Büro Herzog de ­Meuron.(c) Beigestellt

„Wir haben traditionell eine starke emotionale Bindung an kirchliche und sakrale Räume. Das scheint in unserer Kultur zu stecken", sagt Schaub. Die Ruhe sei es auch, was Menschen an diesen Orten suchen. Und wenn man Kirchen stiftet, dann kann man auch Ruhe stiften. Sogar im städtebaulichen Chaos. „Das hat etwa Architekt Álvaro Siza Vieira als seine Aufgabe empfunden in einer kleinen Stadt in der Nähe von Porto." Das Bedürfnis nach Ruhe und Orten, die sie ermöglichen, wirkt jenseits von religiöser Bindung. Sakrale Räume erlauben auch neue Richtungen, die sich ansonsten im Trubel der ständigen Bewegung nicht so leicht erschließen: jene nach innen etwa. „Kirchen sind auch Orte, die oft lang vor uns entstanden sind und das Gefühl vermitteln, dass sie uns überdauern, das hat auch etwas Beruhigendes", meint Schaub. Und wühlt uns kollektiv umso mehr auf, wenn sie bei Katastrophen doch einmal kurz als vergänglich aufflackern. Wenn sie brennen: Wie der Stephansdom im Zweiten Weltkrieg. Oder Notre-Dame im April dieses Jahres.

Tipp

„Architektur der Unendlichkeit". Von Christoph Schaub. Zu sehen u. a. derzeit im Admiral Kino in Wien. Programm unter www.admiralkino.at

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 29.11.2019)

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