Forschungspolitik

Diplomaten für die Wissenschaft

Wo genau Diplomaten von Forschungsarbeit profitieren können, wird in einem vom Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) geleiteten Projekt untersucht.
Wo genau Diplomaten von Forschungsarbeit profitieren können, wird in einem vom Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) geleiteten Projekt untersucht. (c) REUTERS (Yves Herman)
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Wissenschaft braucht diplomatisches Geschick. Aber braucht geschickte Außenpolitik die Wissenschaft? Zwei Konferenzen zeigen, wie wichtig gezielte Beratungsarbeit ist.

Als die Mitarbeiter des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) im Jahr 1973 erstmals das alte Habsburger-Schloss in Laxenburg bezogen, endete ein Jahrzehnt diplomatischer Spannungen. Was mit dem Hall von Chruschtschows Schuh im Versammlungssaal der UN begonnen hatte, schloss mit dem Handschlag im neutralen Österreich: Die Systemgegner Sowjetunion und USA, begleitet von zehn Ländern westlich und östlich des Eisernen Vorhangs, fanden südlich von Wien den passenden Standort für ein neuartiges Institut. Und machten damit ein Zugeständnis an die Folgen des wissenschaftlichen Fortschritts der vorangegangenen Jahrzehnte: Probleme reichen weiter als nationale Grenzen und bedürfen zu ihrer Lösung der Kooperation vieler.

Seit der Vorhang gefallen ist, hat sich unser kollektiver Wissensschatz zu den grenzübergreifenden Herausforderungen vervielfacht. Dass das IIASA bis heute die Rolle eines Mittlers zwischen Forschungswelten spielt, zeigte sich Anfang der Woche. Beim Jahrestreffen des FMSTA-Netzwerks (siehe Lexikon) kamen jene Akademiker zusammen, die Außenministerien weltweit beraten, damit heikle Entscheidungen auf möglichst wissenschaftlicher Basis getroffen werden. Das Netzwerktreffen bietet seit 2016 eine Plattform für den Austausch von Forschern in diplomatischen Diensten.

Vorausschauende Regulierung

Das Schlagwort dabei ist Wissenschaftsdiplomatie: „Forschungskooperation als Brücke zwischen Nationen ist dabei nur ein Aspekt. Außenministerien sind zunehmend daran interessiert, die ethischen, politischen und Governance-Fragen zu klären, die sich aus technologischem Fortschritt ergeben“, so Jan Marco Müller, der das Treffen der Politikberater organisierte. Die multilaterale Zusammenarbeit sei nicht nur bei der Lösung von unmittelbaren Aufgaben wie dem Klimawandel notwendig, sondern in Voraussicht auf noch kommende – etwa die Regulierung von Kryptowährungen oder die Bekämpfung neuer Infektionskrankheiten.

Wo genau Diplomaten von Forschungsarbeit profitieren können und wie solche Beratung sowohl akademischen als auch demokratischen Werten entsprechen kann, untersucht das S4D4C-Konsortium. Das EU-geförderte Projekt, welches vom Wiener Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) angeleitet wird, stellt sich der Thematik aus wissenschaftlicher Perspektive, zielt jedoch auf die Beeinflussung handfester Politik. „Mit der im Laufe des Projekts erarbeiteten Madrid-Deklaration zur Wissenschaftsdiplomatie hat eine große Forschungscommunity erstmals leitende Prinzipien für die Zusammenarbeit mit außenpolitischen Entscheidungsträgern definiert“, so Elke Dall, beim ZSI für die Koordination des Vorhabens zuständig. Zeitgleich mit dem Treffen am IIASA organisierte auch das Konsortium einen Workshop unter Federführung der Diplomatischen Akademie in Wien. „Ein Schwerpunkt des Treffens lag auf der Entwicklung von Trainings für angehende Diplomaten“, so Dall. Die Auseinandersetzung mit aktuellen Forschungsthemen in die Ausbildung zu integrieren, sei unverzichtbar, wenn sich die Praxis grundlegend ändern soll.

Europäische Forschung stärken

Doch es sind nicht nur veränderte geopolitische Fragen, die das Thema Wissenschaftsdiplomatie in der akademischen Welt etablieren. Für die EU als Forschungsraum ist es von strategischer Bedeutung: „Insbesondere die Initiativen des nunmehr scheidenden EU-Kommissars Carlos Moedas haben das Thema in Europa auf die Agenda gehoben“, so Dall. Kein Zufall also, dass die Abschlusskonferenz von S4D4C Ende 2020 in Brüssel stattfinden soll. Bis dahin sollen auch Diplomatenkreise mit den Chancen neuer Beratungssysteme vertraut sein, hofft Müller vom IIASA: „Die laufenden Initiativen bringen Wissenschaftsberater mehrerer Länder an einen Tisch und bieten ihnen die Möglichkeit, von den verschiedenen Ansätzen zu lernen.“ Insofern sind auch die Forscher echte Diplomaten.

Lexikon

Wissenschaftsdiplomatie beschrieb ursprünglich nur die Forschungskooperation von Nationen. Heute ist mit dem Begriff auch die Arbeit an der Schnittstelle von technologischer Entwicklung und Außenpolitik gemeint, die nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auch diplomatische Zwecke fördert. Seit 2016 existiert mit dem FMSTAN (Foreign Ministry Science and Technology Advice Network) eine Plattform für Wissenschaftsberater in Außenministerien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2019)

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