Gastkommentar

Auslandseinsätze: Schluss mit dem Silodenken!

(c) Peter Kufner
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Ein gesamtstaatlicher Rahmen für Auslandseinsätze in Krisen- und Konfliktregionen erfordert das enge Zusammenwirken von vielen Stellen. Ohne Sicherheit keine Entwicklung, ohne Entwicklung keine Sicherheit.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Dieser Gastkommentar spiegelt auch ausschließlich die Meinung der Autorin und nicht des Außenministeriums wider.

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Er sei am Ende seiner Kapazitäten, klagt der französische Oberkommandierende François Lecointre mit mehr als 30.000 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, 8000 davon in Auslandsmission im Sahel-Sahara-Gürtel oder rund um den Konfliktherd Syrien, zu Land, zu Wasser und in der Luft – eine Überforderung? Österreich, das sich immer als „Verfechter und Verteidiger des Multilateralismus und neutrale ,Vermittlungsmacht‘“ gesehen hat, kann auf diese Zahlen nur errötend blicken. Aber wir sollten nicht bei diesem simplen Zahlenspiel bleiben.

Was fehlt? Neben den hervorragend fokussierten Budgetforderungen des Österreichischen Bundesheeres kommt die sicherheitspolitische Debatte um den gesamtstaatlichen Auslandseinsatz, gerade angesichts laufender Verhandlungen zum neuen Regierungsübereinkommen, zu kurz.

Neben der finanziellen Ausstattung, die das Heer braucht, muss auch die Bereitschaft gegeben sein, in einer den heutigen Herausforderungen angepassten Verbindung von Politikfeldern zu denken und gemeinsame Ziele zu readjustieren. „We are at a fork“, (Wir sind an einer Weggabelung), um den früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan zu zitieren, als es um die internationale Schutzverantwortung vor 15 Jahren ging. Ein Blick auf die Themen zur Erläuterung.

Umfassende Landesverteidigung, neu gedacht: Der gesamtstaatliche Ansatz – die Zusammenschau staatlicher und nicht staatlicher ziviler sowie militärischer Komponenten im Auslandsengagement – umschreibt eine Arbeitsmethode des internationalen Krisen- und Konfliktmanagements. Es geht um „umfassende Landesverteidigung“ in der Außendimension. Eine EU-weite Studie der Bertelsmann-Stiftung/CEPS zum Stand der Umsetzung dieser Arbeitsmethode wird im März 2020 in Wien vorgestellt werden.

Österreich bemüht sich seit zehn Jahren um einen solchen synergiebringenden, kostensparenden Ansatz in seinem Auslandsengagement, der aber laut Vorausversion der Studie immer noch nicht vollständig angekommen ist. Zu sehr haben das politische Dickicht, die Eigenbrötlerei der Ressorts (-leiter) und das mangelnde öffentliche Interesse daran genagt.

Das hat in der Geschichte des Landes natürlich eine Reihe berechtigter Gründe. Der Ansatz wird daher in der Studie als „jugendlicher Arbeitsstil, noch immer fragmentiert und oft vom individuellen Engagement abhängig“ charakterisiert und braucht für weitere Fortschritte eine sowohl inhaltliche wie auch institutionelle Festigung. „Wenn nicht jetzt, dann nie“, wie der Verteidigungsminister im O-Ton vergangene Woche vor der Wissenschaftskommission des Landesverteidigungsministeriums polterte. Das stimmt – und zwar in vielerlei Hinsicht.

Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen: Dabei muss der Verteidigungsminister aufpassen, dass er nicht Äpfel mit Birnen vergleicht. Der derzeit herbeigewünschte Rückhalt für das Bundesheer in der österreichischen Bevölkerung, der mittels einer neuen Studie in Bälde belegt werden soll, ist eine Sache. Dennoch lässt langjährige Erfahrung vermuten, dass das im Moment Erreichte nur in Kombination mit einer friedens-, außen- und entwicklungspolitischen Komponente zu einer nachhaltigen Bewegung gebracht, wenn nicht gehebelt werden könnte.

Ein gesamtstaatlicher Rahmen für Auslandseinsätze in Krisen- und Konfliktregionen erfordert ein Zusammenwirken an den Schnittstellen der Handlungsfelder humanitäre Hilfe, Friedenssicherung, Peacebuilding, Staatsaufbau sowie – einer Sudie der Weltbank/UNDP von 2018 zufolge – Konfliktprävention. Diese Handlungsfelder können, wenn sie besser aufeinander abgestimmt werden, bei gleichen oder geringeren Kosten höhere Wirkung vor Ort erzielen und so auch als Aushängeschild im außenpolitischen Profil Österreichs fungieren.

Hier trifft sich das Interesse der militärischen Landesverteidigung mit dem zivilen Ansatz der globalen Bemühungen um Frieden und Stabilität. Ohne Sicherheit keine Entwicklung, ohne Entwicklung keine Sicherheit. Vielleicht sollte man darüber mehr nachdenken, Ideen in das Regierungsübereinkommen aufnehmen und eine Zusammenschau dieser Aspekte versuchen.

Erneuerung von Strukturen: Krisen- und Konfliktmanagement hat eine Vielzahl an intraministeriellen, interministeriellen und gesamtgesellschaftlichen Koordinationsformaten in Österreich geschaffen. Dennoch ist von einer „gewissen Abkoppelung zwischen der Arbeits- und der politischen Ebene“ auszugehen, wie die Bertelsmann-Studie feststellt.

Daher wäre über eine funktionstüchtige, ressortübergreifende Organisationseinheit einschließlich eines entsprechenden Finanzierungsinstruments für „Stabilisierung und Frieden“ nachzudenken, die den Nationalen Sicherheitsrat bei seinen Aufgaben unterstützt. Es braucht kein „Durchwursteln“, wie es Gareis/Varwick von der Deutschen Bundeswehr-Universität auch an überalterten UN-Strukturen kritisieren.

Das Mandat würde regelmäßige Abstimmung, Priorisierung, Einbindung in EU-Strukturen und eine Servicestelle für Auslandseinsatz umfassen. Ebenso dazu gehört Ausbildung und Nachwuchsförderung, wie etwa ein Studienlehrgang für internationales Krisen- und Konfliktmanagement. Einen solchen ins Leben zu rufen, würde eine schmerzliche Lücke in der österreichischen Universitätslandschaft füllen.

Die Politikberatungsfunktion erfordert selbstverständlich Einblick in und Vertrautheit mit Handlungszwängen und Gepflogenheiten auf Beamtenebene sowohl bei den hauptbetroffenen Partnern für den Auslandseinsatz als auch mit Rücksicht auf die außenpolitische Sensibilität des Themas. Mitzunehmen wären auch die engagierte Zivilgesellschaft und die österreichische Wirtschaft.

Eine Stabsstelle als „Arbeitsmuskel“ des Nationalen Sicherheitsrates könnte mit fachlicher wie mandatorischer Autorität als Sprachrohr und Sammelpunkt all dieser Aktivitäten dienen. Zu erwarten wären Transparenz, Planungsfähigkeit und nachhaltiges Handeln auf außen- und sicherheitspolitischem Gebiet.

Das verlangt vom „Ministerium für die dunklen Künste“ natürlich einen Schulterschluss mit den „hellen Köpfen“ – auch und vor allem beim Naschen von den Geldtöpfen. Aber gemeinsam erreichen wir mehr. Darin liegt die wahre Kunst.

Beginnen könnte die Stabsstelle sofort mit einem Arbeitsplan für Gesamtstaatlichkeit. Vielleicht würde dies die langfristigen Sicherheitsbedürfnisse der österreichischen Bevölkerung besser bedienen als das bisher geübte Silodenken. Klar ist: Ein Sekretariat des Nationalen Sicherheitsrates mit erweiterten Aufgaben kann nur funktionieren, wenn die notwendige politische Führerschaft gegeben ist und die Bundesregierung das Vorhaben breit mitträgt.

Die Autorin

Ursula Werther-Pietsch (*1964 in Graz) hat sich im Fach Völkerrecht und Internationale Beziehungen an der Karl-Franzens-Universität Graz habilitiert und unterrichtet an mehreren Universitäten. Sie ist Mitarbeiterin im Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres und war zuletzt Gastforscherin an der Landesverteidigungsakademie.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2019)

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