Personalwechsel

„Auf Europa muss man aufpassen“

Umringt von seinem Pressedienst nahm Jean-Claude Juncker am Freitag Abschied von der politischen Bühne.
Umringt von seinem Pressedienst nahm Jean-Claude Juncker am Freitag Abschied von der politischen Bühne.(c) REUTERS (Yves Herman)
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Jean-Claude Juncker und Donald Tusk treten von Europas Bühne ab. Die beiden Präsidenten der Kommission und des Europäischen Rats einte in ihrer Verschiedenheit vieles.

Brüssel. Der eine verschickt via Instagram ein allerletztes Video, das ihn beim sportiven Langstreckenlauf durch seine Amtszeit zeigte. Der andere stieg, nach einer schweren Operation sichtlich geschwächt, noch einmal aufs Podium, um eine Schnurre über sein altmodisches Nokia-Handy zum Besten zu geben: Donald Tusk und Jean-Claude Juncker, die beiden am Freitag abgetretenen europäischen Präsidenten, hätten in ihrer Außenwirkung unterschiedlicher nicht sein können.

Wo der 62-jährige Pole seine körperliche Fitness und Laufbegeisterung immer wieder medial ins Szene setzte, musste der nur zwei Jahre ältere Luxemburger mit Fortdauer seiner Amtszeit immer deutlicher den gesundheitlichen Langzeitfolgen eines beinahe tödlichen Autounfalls vor drei Jahrzehnten samt wochenlangem Koma und den Anstrengungen der Ochsentour internationaler Politik Tribut zollen. Tusk sah am Ende, als er seinem belgischen Nachfolger als Präsident des Europäischen Rats, Charles Michel, das Sitzungsglöckchen überreichte, zehn Jahre jünger aus, als er es tatsächlich ist. Juncker hingegen wirkte, eine Stunde später und auf der anderen Seite der Brüsseler Rue de la Loi im großen Pressesaal des Berlaymont-Gebäudes der Kommission, um ein Jahrzehnt gealtert. „Ich bin glücklich zu gehen“, sagte er. Die fünf Jahre seiner Amtszeit seien keine leichten gewesen.

Schwerer Start für beide

In der Tat. Zumal Juncker gleich nach Amtsantritt im November 2014 mit den „LuxLeaks“-Enthüllungen über jene ebenso vorteil- wie zweifelhaften Steuerabkommen konfrontiert wurde, welche das Großherzogtum unter seiner Ägide als luxemburgischer Finanzminister mit zahlreichen internationalen Konzernen abgeschlossen hatte. Viele Beobachter rechneten damals damit, dass Juncker eigentlich rücktrittsreif wäre. Denn wie sollte die Kommission ernsthaft gegen Steuerparadiese und die vielleicht legale, aber moralisch bedenkliche Vermeidung des Steuerzahlens durch die reichsten Unternehmen der Welt vorgehen, wenn ihr Präsident dazu beigetragen hat, inmitten der EU eine florierende Steueroase zu pflegen? Juncker tauchte durch – und wahrte eine größere Distanz zu den Medien. „Das Wort hat einen Einfluss, wenn es sich rar macht“, kommentierte er am Freitag den Umstand, dass er sein Versprechen, jede Woche einmal den Korrespondenten Rede und Antwort zu stehen, nicht eingehalten hatte.

Tusk, der frühere Solidarność-Dissident und spätere polnische Ministerpräsident, hatte einen nur minder schwereren Start in sein Amt. Sein Englisch sei zu schlecht, um die Sitzungen der Staats- und Regierungschefs effizient zu leiten und deren Ergebnisse anschließend wirkungsvoll an die Medien zu tragen, hieß es damals. Doch schon Monate vor seinem Amtsantritt büffelte der Danziger verbissen mit einem Privatlehrer. Und schon nach kurzer Zeit beeindruckte er sein Publikum mit nicht nur sehr flüssigen, sondern auch inhaltlich gehaltvollen Pressekonferenzen. Wenn Tusk Antworten gab, hörte das Pressekorps hin. Sie waren pointiert, oft provokant, aber stets zur Sache. Bei Juncker hingegen merkte man nach und nach, wie ihn, nach fast 150 Europäischen Gipfeltreffen in seiner Laufbahn, das Frage-Antwort-Spiel mit den Medien enervierte.

Verlagerter Fokus der Macht

An diesen beiden Männern konnte man auch die Verlagerung des Machtfokus in der Union erkennen: weg von der Kommission, der Gemeinschaftsmethode, hin zum Europäischen Rat, den „Chefs“, dem Intergouvernementalen. Man merkte Juncker oft an, wie sehr ihn dies schmerzte. Er werde seiner Nachfolgerin, Ursula von der Leyen, keine öffentlichen Ratschläge geben, knurrte er am Freitag. Nur einen: „Sie soll auf Europa aufpassen. Auf Europa muss man aufpassen.“ Deutlich blitzte sein Ärger hervor, dass die Chefs das Spitzenkandidatenmodell für die Europawahlen, kraft dessen er Präsident der Kommission wurde, begruben: „Das 2019 nicht zu wiederholen, war ein Fehler. Man hat das aus obskuren Gründen unterdrückt.“

Juncker tritt nun von der politischen Bühne ab. Tusk bleibt, als Präsident der Europäischen Volkspartei. Wer wird im Ringen um die Seele dieser größten politischen Familie Europas siegen? Der liberale Christlichsoziale Tusk oder der autoritär geneigte Populist Viktor Orbán, wollte „Die Presse“ von Juncker wissen. „Tusk“, schoss er hervor. Ob das seine realistische Einschätzung ist oder nur seine Hoffnung, nahm er von der Bühne mit sich mit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2019)

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