Fußball-EM 2020

Die Wirren einer Endrunde

Joachim Löw ist mit dem DFB-Team auf dem Weg zur Euro 2020. Er selbst hält den Titelgewinn für „eher unwahrscheinlich“.
Joachim Löw ist mit dem DFB-Team auf dem Weg zur Euro 2020. Er selbst hält den Titelgewinn für „eher unwahrscheinlich“.Reuters
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Die Auslosung zur Fußball-EM 2020 ließ Deutschlands Teamchef Joachim Löw über Modus, Gigantismus und DFB-Pläne sinnieren. Kritik wischte er weg: „Man muss es nehmen, wie es kommt.“

Nach über dreizehn Jahren als Teamchef ist Joachim Löw zwar längst ein Turnier-Veteran, trotzdem hat der Deutsche, 59, noch immer nicht alles gesehen respektive erlebt. An sich kann den Weltmeister von 2014 bei einer Auslosung wirklich nichts mehr umhauen, doch in Bukarests tristem November-Grau musste auch der 59-Jährige ganz genau hinschauen, was denn die Auslosung zur Euro 2020 an Kuriositäten aufzuwarten hatte.

Löw sollte bei der komplizierten Ziehung der sechs EM-Gruppen in Rumäniens Hauptstadt ein seltsam anmutendes Novum erleben. Der ungewöhnliche Turniermodus mit Spielorten in zwölf Ländern für sechs Gruppen und die Ermittlung der letzten vier EM-Teilnehmer erst Ende März 2020 führte dazu, dass Löw nach der Los-Zeremonie im Romexpo-Messezentrum – bei Redaktionsschluss im Gang – nur zwei der drei Vorrundengegner kennen wird, gegen die er im kommenden Juni in München, Gruppe F, antreten muss.

„Wir nehmen es, wie es kommt“, sagte Löw unermüdlich auf stets die gleichen Fragen, die solch Ereignissen vorauseilen. Dass diese paneuropäische EM – sie war die einzige Alternative zur Türkei, die sich auch für dieses Event beworben hatte – ein gewisses Wirrwarr erzeugt, nimmt Löw bereits gelassen hin. Womöglich ist die, vor allem aus Kommerzzwecken aufgeblähte Endrunde ja auch der beste Vorgeschmack auf die Winter-WM in Katar 2022. Da gibt es ebenso weiterhin Uneinigkeit über Austragungsort und Terminfrage. Zuletzt wurde eine Verschiebung auf kurz nach Weihnachten angedacht.

Auch punkto Überdimensionalität, die die Euro 2020 definitiv prägen wird mit weiten Wegen quer durch Europa bis nach Aserbaidschan, ist es gar nichts im Vergleich zur WM 2026 mit 48 Mannschaften in den USA, Mexiko und Kanada. Das ist die Folge von Konsumdenken, dem Streben nach Gewinnmaximierung und dem Schacher, den Funktionäre mit ihrem Gut, einer Fußball-Endrunde, treiben. Egal, ob EM, WM, Copa Libertadores, Afrika- Cup – alles wird größer. Aber es wächst nicht im Sinn des Sports, sondern allein des Geldes wegen.


Wo wohnt Österreich? Löw wirkte entspannt. Auch Franco Foda, der erstmals als ÖFB-Teamchef eine Auslosung miterlebte, ließ sich von Bedenken und Zwischenrufen nicht blenden. Vom Los hingen die Austragungsorte ab und damit drängte auch die Quartierfrage. Der ÖFB führte, zur Sicherheit, Verhandlungen mit allen Austragungsorten – außer St. Petersburg und Kopenhagen, weil die und Gruppe B (Belgien, Russland, Dänemark, Wales/Finnland) ob der Uefa-Arithmetik nicht für Österreich infrage kamen. Auch wurde weiterhin erwogen, nach jedem Spiel sofort abzureisen und im Burgenland das Teamcamp zu beziehen. Ferner erklärte Foda, dass auch Testspiele vereinbart sind, alle gegen EM-Starter. Nur, auch da hatte das Los das letzte Wort. Gegen einen EM-Gegner wird schließlich nicht getestet.

Dass beim Turnier, im Extremfall, Gruppenspiele gegen Deutschland und Weltmeister Frankreich drohten, damit hatte Foda überhaupt kein Problem. Dass man sich in Deutschland über eine mögliche „Alpen-Gruppe“ mit Schweiz und Österreich amüsierte, verfolgte er mit besonnener Distanz. „Es ist immer interessant, welche Gegner man bekommt.“


Das quälende Play-off. Nur beim vierten Topf wurde es kompliziert – und die Auflösung erfolgt sogar erst im Frühjahr 2020. 16 Mannschaften spielen im Nations League Play-off im März 2020 noch vier EM-Tickets aus. Für Löw sind nur zwei der vier Pools interessant. Island, Bulgarien oder Ungarn kämen als Sieger der Play-off-Gruppe A in die Gruppe F. Setzt sich jedoch Rumänien durch, würde es als EM-Mitgastgeber der Gruppe C mit zwei Heimspielen in Bukarest und einer Partie bei Co-Gastgeber Niederlande zugeordnet. Mit der Qualifikation Rumäniens würde der Gewinner des Play-off-Weges D mit Georgien, Weißrussland, Nordmazedonien und Kosovo zum DFB-Gegner. Doch keine dieser kleinen Fußballnationen könnte Löw schrecken.


Daheim in München. Fix ist auch schon, dass das DFB-Team um Kapitän Manuel Neuer am 16., 20. und 24. Juni 2020 drei Heimspiele in München bestreiten wird. „Das ist sicherlich ein großer Vorteil“, sagte Löw. Er dachte dabei auch an die wegfallenden Reisestrapazen. Die Nationalmannschaft wohnt während des Turniers im fränkischen Herzogenaurach, beim DFB-Ausrüster Adidas. Von daher sind es für die Spieler durchwegs gewohnte Wege. Die Allianz Arena kenne auch jeder, Löw lächelte. Dass sich alle anderen über Modus, Event und Wirrwarr aufregten, schien ihm recht zu sein. Damit hatte er seine heilige Ruhe.

Auch Team-Manager Oliver Bierhoff – auch er hat wie Löw eine Österreich-Wurzel als ehemaliger Salzburg-Spieler – schätzt den Heimvorteil für die nach dem WM-Desaster 2018 in Russland (Aus nach der Gruppenphase) stark verjüngte DFB-Auswahl als extrem wertvoll ein: „Wir möchten mit attraktivem Fußball und guten Auftritten eine Begeisterung entfachen. Es ist wunderbar, dass wir alle drei Gruppenspiele vor heimischem Publikum in München absolvieren dürfen“, sagte der ehemalige Stürmer. „Ich glaube, die Mannschaft wird diese Stimmung, Unterstützung und Begeisterung brauchen.“

Pessimismus

21 Prozent
Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur ergab, trauen nur 21 Prozent aller Deutschen ihrer Mannschaft den Titelgewinn zu.

18 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Interesse am Fußball seit dem
WM-Debakel 2018 gesunken sei.

14 Prozent hätten gar kein Interesse mehr am DFB-Team.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2019)

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