Nachruf

Mariss Jansons, dirigierender Humanist

Jansons of Latvia conducts the Vienna Philharmonic Orchestra during a preview of the traditional New Year´s Concert in the Golden Hall of the Vienna Musikverein in Vienna
Jansons of Latvia conducts the Vienna Philharmonic Orchestra during a preview of the traditional New Year´s Concert in the Golden Hall of the Vienna Musikverein in Vienna(c) REUTERS (Lisi Niesner)
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Zum Tod des lettischen Dirigenten, der nach langer Krankheit am 1. Dezember in St. Petersburg starb.

Ein Diktator am Pult war er nicht. Im Gegenteil. Es lässt sich schwer ein herzlicherer, gutmütigerer Mann denken, dem der Weltruhm so gar nicht zu Kopf stieg: Mariss Jansons als Gesprächspartner war durchdrungen von der Mission der Musik; und das verstand er, wohlgemerkt, nie als seine, sondern als eine Verpflichtung der besonders begabten Menschen zum Wohle aller. Er wollte ein Teil davon sein – und seine Prominenz dazu nutzen, dieser Überzeugung zum Durchbruch zu verhelfen. Eine Petition wollte er starten, um der europäischen Kultur die musische Bildung zurückzugeben – auf allen Titelseiten der Zeitungen des Kontinents sollte sie am selben Tag publiziert werden. Lange und ausführlich hat er mit Journalisten darüber konferiert – und musste scheitern. Was nichts daran ändert, dass er in der Sache zutiefst recht hatte. Auch deshalb wird Mariss Jansons in die Geschichte als eine der großen Figuren der Klassikszene unserer Zeit eingehen. Wenn schon die Kulturpolitik nicht verstanden hat, dass Europas Geist nur durch eine Wiederbesinnung auf seine kulturellen Werte – und die Musik als universellste ihrer Sprachen – zu bewahren wäre, so können hellhörige Zeitgenossen doch immerhin an den vielen Aufnahmen, die dieser Dirigent hinterlässt, nachhören, wie das war, als da einer mit den bedeutendsten Orchestern der Welt auf ganz freundschaftliche Weise weit vorzudringen versuchte in die Geheimnisse unseres klassisch-romantischen Musik-Erbes.

Die Musik als Lebenszweck hatte Jansons bereits im väterlichen Haushalt kennen und lieben gelernt. Arvid Jansons war einer der meistbeschäftigen Dirigenten in Riga und später in St. Petersburg, dem damaligen Leningrad. Sohn Mariss kam 1943 in der lettischen Hauptstadt zur Welt, als diese gerade von den deutschen Truppen besetzt war. Unterdrückung und Verfolgung erlebte die Familie freilich auch danach, als Lettland wieder im sowjetischen Einflussbereich lag. Wie sein Vater vermochte sich auch Mariss Jansons von direkten politischen Parteinahmen fernzuhalten. Sein künstlerischer Aufstieg musste freilich innerhalb des kommunistischen Systems stattfinden – er hat darüber noch lange nach dem Zusammenbruch des Regimes spannend zu erzählen gewusst; und darüber seinen Humor nie verloren.

Wer sich mit Mariss Janons eingehender unterhalten konnte, wird von ihm auch nie anti-russische Töne vernommen haben, ganz im Gegenteil. Er war Lette, aber man hätte angesichts seiner Persönlichkeit mit einigem Recht mit Mozarts Sarastro fortsetzen mögen: „mehr noch, er ist Mensch“.

Führungspersönlichkeit, allseits geliebt

Die schwere Zeit der Aufbauarbeit unter widrigsten Umständen – nur mit Mühe war den Sowjet-Behörden die Ausreisegenehmigung für Studien in Wien bei Hans Swarowsky und in Salzburg bei Herbert von Karajan abzuringen – hat Jansons gestählt. In dem stets freundlichen, verbindlichen Künstler verbarg sich ein unbändiger Gestaltungswille, eine unbändige Leidenschaft für die Musik. Sie sicherten ihm jenseits seiner fragilen physischen Konstitution eine Energie, der sich offenbar kein Orchesterkollektiv entziehen konnte. Janson war der seltene Fall einer Führungspersönlichkeit, die allseits geliebt wurde. Man arbeitete gern mit ihm. Und die Ergebnisse waren getragen von der kollektiven Freude am Musizieren, die sich dadurch einstellte.

Jewgeni Mrawinsky, der größte russische Dirigent des 20. Jahrhunderts, bei dem schon Vater Arvid assistiert hatte, erkannte das eminente Potenzial von Mariss Jansons und bezeichnete ihn zuletzt ganz offen als jenen Mann, dem er nach seinem Tode gern die Geschicke der Leningrader Philharmoniker anvertraut hätte. Doch wie das bei Thronfolgern oft ist – Jansons kam nicht zum Zug. Vielleicht war das für seinen Werdegang heilsam, denn er wählte das Exil und eine Zeit der konsequenten Aufbauarbeit an einem Ort, der so etwas wie einen weißen Fleck auf der Kassiklandkarte darstellte: Als Chefdirigent von Oslo Philharmonic konnte er sich ein enormes Repertoire aneignen und seine Kunst der uneitlen, partnerschaftlichen Orchesterführung entfalten. Zwei Jahrzehnte lang hat Jansons in Norwegen gearbeitet. In den späten Achtzigerjahren wurde die Welt darauf aufmerksam, dass es in Oslo überhaupt ein philharmonisches Orchester gab – und auf den, der dafür gesorgt hatte, dass man darauf aufmerksam werden musste.

Die ersten Gastspielreisen und CD-Aufnahmen stießen auf staunendes Interesse; Engagements der international renommierten Orchester folgten auf dem Fuß. Der Rest ist bekannt: Jansons wurde zum Publikumsliebling, bald auch zum ständigen Dirigenten der Berliner und der Wiener Philharmoniker, die ihn dreimal zum Neujahrskonzert baten.

Dabei blieb Jansons vor allem ein Konzertdirigent. Oper hat er nur in Ausnahmefällen geleitet – bei den Salzburger Festspielen freute man sich über seien Einstudierungen von Schostakowitschs „Lady Macbeth“ und Tschaikowkys „Pique Dame“, in Amsterdam, wo er einige Jahre lang dem Concertgebouw Orchester vorstand, gab es die eine oder andere Musiktheater-Premiere, doch das geplante Wiener Staatsopern-Debüt mit Bizets „Carmen“ musste der immer wieder kränkelnde Künstler absagen: Er übergab an jenen Mann, den er unermüdlich förderte, Andris Nelsons.

Seine künstlerische Heimat hat Mariss Jansons nach einer Chefpositionen in Pittsburgh , wo er 1997 auf Lorin Maazel folgte, in München, wo er wiederum Maazel beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks beerbte. Das war 2003. Seither sind unzählige Ton- und Video-Aufnahmen entstanden, die Jansons’ Kunst für die Nachwelt bewahren. Der Dirigent starb am 1. Dezember im Kreise seiner Familie in jener Stadt, die er über all die Jahre doch als seine Heimat empfunden hatte, in St. Petersburg.

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