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Mit Realien in vergangene Realitäten

©Peter Böttcher, Institut für Realienkunde der Universität Salzburg A - 3500 Krems, Körnermarkt 13, www.imareal.sbg.ac.at
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Dinge erzählen Geschichte: Das Kremser IMAREAL-Institut zählt zu den Pionieren der Realien-Forschung.

Kleidung, Schmuck, Wohnausstattung, Bilder: Mit welchen Dingen sich Menschen umgeben und ihren Lebensraum gestalten, verrät viel über ihr Weltbild, ihren Alltag, ihre Einstellung zur Gesellschaft, und ihren Platz in derselben. Das Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit (IMAREAL) in Krems an der Donau untersucht seit 1969 die Materielle Kultur – und ist die erste Institution weltweit, die mit dem Fokus auf Mittelalter und Frühe Neuzeit Geschichte nicht vorrangig als politische Ereignisgeschichte beschreibt, sondern über Dinge vergangene Lebenswelten beleuchtet. „Über historische 'Ding-Welten' erfahren wir, was Mensch-Sein in der Auseinandersetzung mit der jeweiligen physischen wie sozialen Umwelt bedeutet“, erklärt IMAREAL-Leiter Mag. Dr. Thomas Kühtreiber. „Realien vermitteln Einblicke in historische Realität, weil sie in konkreten Lebensumständen konkrete Wirkungen entfalteten.“

Identität stiftende Dinge

Der Zeitraum vom 12. bis zum 17. Jahrhundert ist durch eine „Vervielfachung der Dinge“ gekennzeichnet: Steigender Wohlstand im heutigen Mittel- und Westeuropa ließ neue „Dingwelten“ entstehen: Hose statt antiker Toga bei Männern, reich bebilderte Tafelaltäre, rauchfreie Stuben mit Kachelöfen. Das gefiel nicht allen: „Schon damals warnten kritische Stimmen, dass die vielen Dinge, die wir besitzen, letztendlich uns besitzen,“ weiß Kühtreiber. Dinge als Werkzeug zur „sozialen Distinktion“ waren im Mittelalter ähnlich wichtig wie heute: So bestimmten Kleiderordnungen, wer welche Stoffe und Schnitte tragen durfte. Religiös-moralische Argumente verliehen diesen Regeln Nachdruck. „Die aktuelle „Kopftuchdebatte“ erinnert an Versuche in früheren Zeiten, sich über Kleidungsteile voneinander abzugrenzen“, so der Kulturwissenschafter. 

Kuss-Spuren auf Heiligen-Bildern

Bilder spielen in der Realien-Forschung eine große Rolle. Allerdings waren sie im Mittelalter längst nicht so allgegenwärtig wie heute. Von sich selbst und ihren Angehörige hatten die meisten Menschen damals kein Bild. Die Macht der Bilder war aber auch ohne Massenmedien – gerade vor dem Hintergrund einer hohen Analphabeten-Rate – gewaltig. „Spuren in spätmittelalterlichen Gebetsbüchern zeigen, dass manche Bilder regelmäßig geküsst wurden. Aus den Gesichtern von Heiligen wurde Farbe gekratzt. Wohl, um sich diese Heiligen 'einzuverleiben',“ berichtet der IMAREAL-Leiter. Diese innige Bildbeziehung erinnert ihn an „die Medienwirkung von Handys, der sich immer mehr heutige Zeitgenossinnen kaum entziehen können.“

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Ein Objekt, viele Botschaften

Auf dem Schreibtisch von Thomas Kühtreiber steht die Replik eines Pilgerzeichens aus Köln. Derartige Objekte wurden von Wallfahrten mitgebracht, waren Andenken, Amulett und Ausweis des Pilgers in einem. Sie liefern wertvolle Hinweise auf die Entfernungen, die mittelalterliche Wallfahrer überwanden. Als Grabbeigaben bezeugen sie, welche Bedeutung diesen Objekten im Angesicht des Todes als „Ausweis christlichen Lebens“ zugesprochen wurde.

Einzigartige Datenbank

Ein „Herzstück“ des Instituts ist die realienkundliche Bilddatenbank „REALonline“: Über 28.500 hochqualitative Aufnahmen von Bildern und Dingen des 12. bis 17. Jahrhunderts sind hier mit detaillierten Erfassungen der Bildinhalte verknüpft. Die Wurzeln dieses Projekts reichen bis in die Gründungszeit des Instituts zurück. Damit ist das IMAREAL ein „Digital Humanities“-Pionier – und als Kooperationspartner bei nationalen und internationalen Projekten gefragt. Die institutionelle Anbindung an die Universität Salzburg sowie projektbezogene Forschungsverbünde mit dem Land Niederösterreich helfen, Forschungs-Projekte zu verwirklichen.

Weitere Informationen:www.imareal.sbg.ac.at

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