Schiele, Programmator der 68er

Schiele Programmator 68er
Schiele Programmator 68er(c) AP
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Am Samstag vor 120 Jahren wurde in Tulln einer der bedeutendsten Künstler der österreichischen Geschichte geboren, Egon Schiele.

Am Samstag vor 120 Jahren wurde in Tulln einer der bedeutendsten Künstler der österreichischen Geschichte geboren, Egon Schiele. Anlässlich dieses Jubiläums fand an der Wiener Akademie der bildenden Künste, die Schiele 1909 im Protest verlassen hatte, eine „Forschungs- und Gedenktagung“ zu Ehren des trotzigen Schülers statt. Konzipiert wurde die Veranstaltung von Elisabeth von Samsonow, die sich seit Jahren mit einem aquarellierten weiblichen Schiele-Halbakt (s. Abb.) beschäftigt – dessen Rezeptionsgeschichte paradigmatisch für den vom Kunstmarkt kontrollierten Umgang mit Schieles Werk steht.

„Fälschung oder nicht?“: Das ist die seit Jahren diskutierte, bis heute ungeklärte Frage bei diesem Blatt aus Liechtensteinischem Privatbesitz. Die international oberste Schiele-Instanz, Jane Kallir, befand: falsch. Und bestätigte die Echtheit eines ähnlichen, in New York befindlichen Blattes. Kallir hat allerdings auch wirtschaftliche Interessen, sie ist eine der wichtigsten Schiele-Kunsthändlerinnen. Rudolf Leopold, ebenfalls Sammler und im Handel verstrickt, befand das Blatt zwar anfangs für echt, meldete jetzt aber ebenfalls Bedenken an, so Samsonow.

Hier liege das Problem: Alle Schiele-Experten sind im Kunsthandel aktiv. Gerade bei Schiele ortet Samsonow verstärkt „Machenschaften“: Versuche, Herkünfte zu verschleiern oder Urteile nicht zu begründen.

Ähnliche Erfahrungen, von denen er bei der Tagung berichtete, hatte Mumok-Direktor Edelbert Köb gemacht, als er an der Akademie 1984 eine Schiele-Ausstellung organisierte, in deren Vorfeld 20 fragwürdige Zeichnungen auftauchten. Er wurde ebenfalls von den Experten alleine gelassen. „Das Verhältnis zwischen Forschung und Kunsthandel ist in Bezug auf Schiele nicht besonders glücklich konstituiert“, so Samsonow.

Ob falsch oder nicht – sie hat den Halbakt weiter erforscht. Und kommt jetzt zum Schluss, dass es innerhalb von Schieles Werk programmatisch zu deuten sei: Es zeige die Verschmelzung des Künstlers mit seinem Modell, Schiele als empfangendes Mädchen – „als das der Künstler seit Nietzsche gilt“. Schiele sei nicht der Ekstatiker aus ärmlicher Familie gewesen, als der er gerne dargestellt wird. Sondern ein Denker, bestens mit Psychoanalytikern vernetzt: Schiele war „so etwas wie ein Programmator der 68er-Generation“.

Elisabeth von Samsonow, „Egon Schiele. Ich bin die Vielen“, Passagen Verlag Wien 2010.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2010)

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