Die neue SPD-Spitze windet sich in der Koalitionsfrage

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken konnten die etablierte Konkurrenz im Rennen um die SPD-Spitze in Schach halten.
Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken konnten die etablierte Konkurrenz im Rennen um die SPD-Spitze in Schach halten.REUTERS
  • Drucken

Die provisorische SPD-Chefin Dreyer, will die Koalitions-Debatte "etwas runterkochen." Fest steht: Die CDU lehnt Neuverhandlungen des Koalitionsvertrags ab, ist aber zu Gesprächen bereit.

Eine Entscheidung ist gefallen. Die neue SPD-Spitze steht fest - mit der Konsequenz, dass die in Deutschland regierende Große Koalition nun in eine ungewisse Zukunft blickt. Neue Entscheidungen stehen an: Soll der Koalitionsvertrag nun neu verhandelt werden? Nach dem überraschenden Sieg von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken bei der SPD-internen Wahl um den Vorsitz ist die Partei um eine Beruhigung der Lage bemüht. "Ich glaube, wir sollten etwas runterkochen", sagte die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer am Montag im ZDF-"Morgenmagazin".

"Wir sollten einfach zur Kenntnis nehmen, die Partei hat eine neue Führung gewählt, das ist der Punkt", sagte Dreyer. "Und natürlich wird sie auch ihre Akzente setzen bei der Frage, wie geht es weiter mit der Großen Koalition." Darüber werde man beim Parteitag diskutieren.

Die GroKo-Skeptiker Walter-Borjans und Esken hatten das Mitgliedervotum für den SPD-Vorsitz mit 53,06 Prozent der Stimmen gewonnen. Das zweite Bewerberduo mit Finanzminister Olaf Scholz und Klara Geywitz war mit 45,33 Prozent deutlich unterlegen.

Merkel will Koalition nicht neu verhandeln

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigte sich am Montag offen für Gespräche mit der künftigen SPD-Spitze, lehnte aber eine Neuverhandeln des Koalitionsvertrags ab. Die Kanzlerin sei grundsätzlich zur Zusammenarbeit und zum Gespräch bereit, "wie es in einer Koalition üblich ist", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Und wenn Einigkeit innerhalb der Koalition über etwas hergestellt werden könne, "dann können auch neue Vorhaben in Angriff genommen werden". Zugleich betonte Seibert: "Eine Neuverhandlung des Koalitionsvertrags steht nicht an."

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ließ ebenfalls die Möglichkeit von Nachverhandlungen des Koalitionsvertrags in Einzelpunkten offen, indem sie nur eine vollständige Revision ausschloss. Dass bei einer Regierungspartei ein Führungswechsel stattfinde, "gehört aus meiner Sicht nicht zu den schwerwiegenden Fällen, aus denen heraus man eine Koalition komplett neu verhandeln muss," sagte Kramp-Karrenbauer am Montag im ZDF-"Morgenmagazin".

Walter-Borjans und Esken hatten deutlich gemacht, dass der Koalitionsvertrag mit der Union aus ihrer Sicht nachverhandelt werden muss. Zu ihren Forderungen zählen mehr Klimaschutz, eine massive Ausweitung der Investitionen in Schulen und Straßen und mehr Soziales.

SPD-Spitze verlangt mehr Investitionen

Esken sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Anne Will": "Wir sind einfach der Auffassung, dass sich im Laufe der ersten zwei Jahre der Großen Koalition eine andere Situation ergeben hat im Land." Walter-Borjans bekräftigte, dass staatliche Investitionen von 45 Milliarden Euro pro Jahr nötig seien. In schwächeren Jahren seien auch neue Kredite nötig. Auf dem am Freitag beginnenden SPD-Parteitag werde es zu einer "klaren Entscheidung" über den ausgeglichenen Bundeshaushalt kommen, so der frühere NRW-Finanzminister.

Esken vermied die Drohung mit einen Austritt aus der Koalition, sagte aber mit Blick auf die Union: "Es muss schon klar sein, dass eine Bereitschaft da sein muss, zu reden." Dann müsse man sehen, "zu welchem Ergebnis wir kommen". In der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" sagte Walter-Borjans: "Wenn dann eine Blockadehaltung des Koalitionspartners da ist für diese neuen Aufgaben, dann muss man die Entscheidung treffen, dass es nicht weitergeht."

SPD bleibt in Koalitionsfrage gespalten

Zugleich regte sich am Montag aber auch Widerstand innerhalb der SPD gegen die Forderung der künftigen Parteiführung nach einer Neuverhandlung des Koalitionsvertrags. "Die Forderung nach Nachverhandlungen des Koalitionsvertrags halte ich für ebenso unnötig wie gefährlich", erklärte am Montag der Vorsitzende der baden-württembergischen SPD-Landesgruppe im Bundestag, Martin Rosemann.

Wer durch die Forderung nach Nachverhandlungen das Ende der Koalition provoziert, trägt dann die Verantwortung dafür, dass die Grundrente und der Kohleausstieg auf der Strecke bleiben", warnte der Bundestagsabgeordnete aus Tübingen.

Auch der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, warnte seine Partei davor, die Umsetzung der Grundrente durch ein Ausscheiden aus der Koalition zu gefährden. Er könne sich nicht vorstellen, dass die Mitglieder der SPD "die Grundrente aufs Spiel setzen werden", sagte er am Montag im Deutschlandfunk.

Neben Kramp-Karrenbauer ließen auch andere führende Unions-Politiker die Möglichkeit von Gesprächen mit der SPD über neue Projekte offen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bezeichnete es bei "Anne Will" als normal, dass auch in der Mitte der Wahlperiode neue Ziele abgesteckt würden. "Wenn aktuelle Entwicklungen eintreten, muss man darauf reagieren." Über diese Fragen werde natürlich gesprochen. "Aber es ist doch etwas anderes als zu sagen: "Wir verhandeln den Koalitionsvertrag neu"."

Söder will Koalitionsvertrag unangetastet lassen

CSU-Chef Markus Söder nannte es selbstverständlich, dass man miteinander rede. Aber: "Bloß weil ein Parteivorsitzender wechselt, verhandelt man keinen Koalitionsvertrag neu", sagte der bayerische Ministerpräsident am Sonntagabend im ZDF-"Heute Journal". Schon gar nicht würden Forderungen diskutiert, "die rein ideologisch motiviert sind und die dazu dienen, einen Wahlkampf abzufedern".

Der Vize-CDU-Chef Volker Bouffier sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag): "Wir haben einen gültigen Koalitionsvertrag und Nachverhandlungen sehe ich nicht." Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann lehnte insbesondere ein Abgehen von der Schwarzen Null im Haushalt strikt ab: "Da werden wir beinhart bleiben. Da machen wir nicht mit", sagte er im "Bild"-Talk..

Die Grünen verlangten schnelle Klarheit darüber, wie es mit der Großen Koalition weitergeht. Die SPD müsse in dieser Woche klären, ob sie Deutschland weiter regieren wolle, sagte ihre Vorsitzende Annalena Baerbock am Montag in Berlin. "Mit einem Jein kann man kann Land regieren, und das muss die SPD auf ihrem Parteitag jetzt klar stellen."

(APA/dpa/AFP)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Olaf Scholz und Angela Merkel.
Deutschland

Wie Merkel ohne SPD Kanzlerin bleiben könnte

Das neue SPD-Führungsduo windet sich bei der Frage, wie es nun weitergehen soll. Die Zukunft der Großen Koalition ist vorerst offen. Doch selbst wenn die Genossen aussteigen, muss es keine Neuwahlen geben.
Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken wurden an die Spitze der SPD gewählt.
Analyse

Die deutschen Sozialdemokraten „im Selbstzerstörungs­modus“

Die SPD wählt zwei unbekannte Parteilinke an ihrer Spitze. Wer sie sind und was das für die Regierung in Berlin bedeuten könnte.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.