Morgenglosse

Die Klimanotstands­heuchler

Gerade erst hat man den Klimanotstand ausgerufen, da jettet die EU-Führungsspitze bereits zur UNO-Konferenz nach Madrid. Vorbildlich ist das nicht.

Also sprach David Sassoli, Präsident des Europäischen Parlaments: „Letzte Woche hat das Europäische Parlament einen Klimanotstand ausgerufen, und wir haben uns verpflichtet, dringend die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um diese Bedrohung zu bekämpfen. Jetzt trage ich diese Botschaft zu den Weltführern, und fordere sie auf, dasselbe zu tun.“ Dann stieg er in ein Flugzeug und begab sich, vielköpfige Entourage sowie eine große Delegation von Europaabgeordneten im Schlepptau, nach Madrid zur UNO-Klimakonferenz.

Moment: wenn etwas ein Notstand ist, erfordert es sofortiges Handeln. Im Falle des vom Menschen gemachten Klimawandels also ein Überdenken jener Praktiken, die den Treibhauseffekt verstärken. Fliegen zum Beispiel. Wie also passt es zusammen, dass Politiker am Donnerstag erst erklären, alles gehe den Bach herunter, und am Montag fröhlich weitermachen wie bisher? Übrigens handelte nicht nur Parlamentspräsident Sassoli so. Auch die neuen Spitzen von Europäischer Kommission und Europäischem Rat, Ursula von der Leyen und Charles Michel, düsten samt Mitarbeiterstab nach Madrid. Von der Leyen rauschte nach ihrer Rede gleich wieder nach Brüssel zurück. Erwarten sich Europas Präsidenten wirklich, dass ihre salbungsvollen Worte in einem madrilenischen Konferenzsaal den Rest der Welt zum Einlenken motivieren? Das wäre erstaunlich: sowohl die Wirkung, als auch der naive Glaube daran.

Vielleicht wäre es im Kampf um die Meinungshoheit effektiver, würden die Spitzen der EU in Sachen Ökowende mit gutem Beispiel vorangehen. Brüssel-Madrid ist in etwas mehr als zwölf Stunden per Zug machbar. Ach, die Abfahrts- und Ankunftszeiten sind unpraktisch? Vielleicht würden die sich rasch ändern, wenn politische Alphatiere auch öfter mit der Bahn führen (wenn die Kommission einmal monatlich in Straßburg tagt, fliegt sie übrigens dorthin, statt den vorhandenen TGV zu nutzen). Und wo wir schon bei der vorgelebten Tugendhaftigkeit sind: wie wäre es, wenn der vom Klimanotstand bewegte Parlamentspräsident Sassoli prüfen ließe, ob es wirklich 44 ständiger Delegationen bedarf, die in hübscher Regelmäßigkeit allerlei exotische Länder in Übersee (klimaschädlich per Flugzeug) bereisen - und ob da wirklich jedes Mal alle Mitglieder mitfliegen müssen (das sind manchmal drei Dutzend Abgeordnete)? Gewiss sind das nur Tropfen auf den heißen Stein. Aber wenn nicht einmal die Politiker, die nun für den Kampf gegen den Klimawandel entflammt sind, ihre persönliche Lebensweise zu überdenken gewillt sind: wie wollen sie das dann uns Normalsterblichen zumuten?

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