360 Grad Österreich: Es ist kein Spaß, wenn man in Fucking in Oberösterreich lebt. Ortsschilder werden gestohlen, betrunkene Engländer fallen ein. Das Internet wurde zum Medium für unliebsame Propaganda.
Dieses verdammte „C“. Früher einmal, ganz am Anfang, war es „Fugging“. Dann wurde es zu „Fuking“ und irgendwann kam einer mit dem „C“ daher. Und seither ist in der kleinen oberösterreichischen Gemeinde die Hölle los.
„Fucking“ bedeutet im Deutschen gar nichts. Angeblich kommt der Name von einem bayerischen Adeligen namens „Focko“. In Englisch aber ist es nicht nur ein unzweideutiges Eigenschaftswort, sondern auch ein beliebtes Schimpfwort und Ausdruck zur freudigen Verstärkung. Vergleichbar etwa, wenn in Österreich jemand etwas „geil“ findet. U2-Sänger Bono sorgte 2003 in den USA für einen mittelgroßen Skandal, als er bei einer Live-TV-Sendung meinte, es sei „fucking brilliant“, dass seine Band einen „Golden Globe“ erhalten habe. Seither werden alle Liveshows zur Vorsicht 90 Sekunden zeitverzögert ausgestrahlt, um solche Profanitäten notfalls überpiepsen zu können.
Aber hier in Oberösterreich kann ein ganzer Ort so heißen, unüberpiepst. Auf jeder Landkarte, auf Wegweisern und auf dem Ortsschild. Vor allem auf dem Ortsschild. „Zehn, 15 werden's schon g'wesen sein, die in den vergangenen Jahren g'stohlen worden sind“, berichtet der Meindl Franz, der sympathische Bürgermeister von Tarsdorf. Zu der Gemeinde im Bezirk Braunau am Inn gehört der Ortsteil Fucking mit seinen weniger als 100 Einwohnern. 200 Euro kostet ein neues Schild. „Des is schon ärgerlich. Mir könnten was Besseres mit dem Geld anfangen.“
Verschweißte Ortsschilder. Mittlerweile haben sie die Ortsschilder einbetoniert, speziell verschraubt, vernietet und angeschweißt. Es nützt wenig. Erst neulich ist wieder eines verschwunden. Und es wird zweifellos schlimmer werden. „Jetzt hamma so lang a relative Ruah g'habt, und dann sind die Deppen mit dem Bier daherkommen“, sagt ein Fuckinger, der gerade die Fassade seines Hauses bemalt.
Ah ja, das Bier: „Fucking Hell“ soll es nach dem Wunsch eines deutschen Bierbrauers heißen. Fucking ist die Ortsbezeichnung, Hell die Abkürzung für ein „Helles“, die vor allem in Bayern gebräuchliche Kurzform für ein untergäriges gelbes Bier (ein „Lager“). Zusammen bedeutet es im Englischen „Verdammte Hölle“, was das Europäische Patentamt in zweiter Instanz genehmigt hat. Nur weil etwas in einer anderen Sprache eine zweideutige Bedeutung habe, könne man es nicht verbieten, befanden die Beamten. Selbst dann nicht, wenn das Bier gar nicht aus Oberösterreich kommt.
Genervte Bewohner. Die Fuckinger haben erst aus den Zeitungen von dem neuen Markennamen gehört. „Was soll ma denn machen“, fragt der Meindl Franz. „Ein Einspruch beim Patentamt? Das kostet ja schon einmal 2000, 3000 Euro, dass die überhaupt nur den Brief aufmachen.“ Und dann das teure Verfahren. Also wird man's hinnehmen, dass jemand mit dem Namen des Ortes Geld macht. Was weniger lustig ist, ist die Aufregung, die es dadurch wieder gab und geben wird.
„A ganzer Haufn Journalisten“ habe angerufen, aus aller Welt, berichtet der Bürgermeister. Kamerateams waren im Ort. Woanders würde man sich über so viel kostenlose Werbung freuen, aber nicht in Fucking. Die Kühe, die nach der Ortseinfahrt rechts weiden, sind die einzigen, deren Blick man bei einem Streifzug durch die wenigen Straßen als freundlich interessiert interpretieren könnte. Ansonsten will hier kaum jemand über die Ortschaft und das Eigenschaftswort reden. Hat die globalisierte Welt Peinlichkeit geschaffen, wo früher keine war?
Bis vor einem Jahrzehnt war Fucking ein Geheimtipp in der englischsprachigen Welt. Da fanden es die Einheimischen noch lustig, wenn sich alle paar Wochen Jugendliche vor dem Ortsschild gegenseitig fotografierten. Ein paar Geschäftstüchtige versuchten sich sogar mit T-Shirts: „I love Fucking in Austria.“
Dann kam das Internet und damit wurde der Ortsteil zum skurrilen E-Mail-Weiterleitungsbild und zur Massenware. Mittlerweile weist jeder Reiseführer, der etwas unkonventioneller sein will, auf die Gemeinde hin. Man kann in „Google Earth“ auf das Ortsschild zoomen und sich auf „YouTube“ Videos ansehen von ausgelassenen jungen Engländern, die vor der Ortseinfahrt tanzen, oder von TV-Moderatoren, die sich unter lautem Gelächter des Publikums bei der österreichischen Fremdenverkehrswerbung nach „Fucking“ erkundigen. „Das sind noch die Harmlosen“, erzählt einer. Es gibt auch die, die unter dem Ortsschild Sex haben.
Gescheiterte Umbenennung. „Mir hab'n so was von gnuag“, sagt der Fassadenmaler neben der Hauptstraße. Vier, fünf Autos kämen jetzt wieder an manchen Tagen vorbei. Man habe schon nachgeschaut, ob die vier Ortsschilder eh noch ordentlich vernietet seien.
Möglicherweise hat die Aversion auch damit zu tun, dass alle Versuche, Geld zu machen, so fehlschlugen, wie der Verkauf der T-Shirts. Man steht dem Namen jedenfalls durchaus zwiespältig gegenüber. Einerseits will man zwar „a Ruah“, andererseits aber scheiterte vor einigen Jahren eine Initiative, den Ort ganz offiziell umzubennen.
Am einfachsten wäre es überhaupt, die Schilder abzumontieren. Aber das könne man aus Gründen der Straßenverkehrsordnung nicht, weil dann die automatische Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 km/h nicht mehr gelte, lautet das Gegenargument. Wahrscheinlich kommt auch die typische Sturheit der Innviertler dazu: Warum sollen wir uns anders nennen? Wir heißen schon immer so.
Für den umgänglichen Meindl Franz, der dem Ort seit 2003 vorsteht, ist aber klar: „Irgendwas müss' ma mach'n.“ Für die Einwohner sei es einfach nur noch „eine Last“.
Man könnte sich freilich auch an England auf ähnliche Art und Weise rächen. Dort gibt es nämlich einen Bezirk, der heißt „Furzton“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2010)