Gastkommentar

Exodus der Funktionäre: Die Farbe Rot im freien Fall

(c) Peter Kufner
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Das Zerbröseln der SPÖ ist jener Fehleinschätzung geschuldet, wonach alles beim Alten bleiben müsse.

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„Was ist passiert, was hat dich bloß so ruiniert?“ − Die Sterne


Wahrscheinlich sitzen auch die selbstbewussteren Mitglieder der ehemals so stolzen sozialdemokratischen Partei vor den Trümmern und weinen. Die Trauerarbeit im Vorfeld des Begräbnisses hat makabre Züge, ist aber typisch für eine Partei, eine Bewegung, in der sich inhaltlich nichts mehr bewegt. Die Erstarrung dieser ohnedies strukturstarren Gruppe hat durch paradoxe Intervention zum Gegenteil der Starre geführt.

Jetzt stieben alle Elemente und Menschen dieser einst so stolzen Partei auseinander: „Nur weg.“ Das Zerbröseln ist jener mangelnden Elastizität und jener Fehleinschätzung geschuldet, wonach alles beim Alten bleiben müsse: bei den alten Phrasen, bei den alten Funktionärstypen, bei den alten Egomanen, bei den alten Rezepten und den alten Schuldzuweisungen. Letztere waren ja bis in die jüngste Zeit Standardverfahren in der SPÖ; etwas so Exotisches wie Eigenfehler wuchsen auf dem Erkenntnisbaum der SPÖ nicht.

Die Kommunikation beschränkte sich auf einen eitel vorgetragenen Plan B des Christian Kern – mich hat schon bei dieser Präsentation uneinlösbarer Heilsversprechen ein ungutes Gefühl beschlichen, und man darf Intuition, genährt aus Erfahrung und semantischer Analyse, nicht ganz unterschätzen. Die neue Parteichefin wähnte sich auf dem richtigen Weg. Dass dies auf intellektueller Ebene und im Grundverständnis nicht ganz falsch – aber in der Niederlage wirklich ganz und gar falsch war, zeigte nicht zuletzt der interne Shitstorm.

Die Sozialdemokratie hat über 100 Jahre für die Verbesserung der Situation von Menschen gekämpft. Wohnsituation. Bildungssituation. Mitspracherechte der Wähler. Frauenrechte. Strafrechtsreformen. Also ein richtiger Weg. Genau diesen Kampf hat auch das bürgerliche Lager – allerdings mit anderen Schwerpunkten – geführt: Verbesserung der Situation für Menschen in diesem Staat. Die divergenten Standpunkte hatten – und das ist das Wesentliche – ein übergeordnetes gemeinsames Ziel: Prosperität für Österreich, garniert mit Bürgerrechten und gerechtfertigten Bürgerhoffnungen. Letztere wurden erfüllt und genährt durch Wirtschaftswachstum, hohen Beschäftigtenstand, Bildungszugang und einen zunehmenden Stolz auf die wettbewerbsfähige Heimat. Das Narrativ und die Realität hatten einen hohen Deckungsgrad.

Die beiden Lager SPÖ und ÖVP verhandelten ihre Differenzen und den Dissens mithilfe der Sozialpartnerschaft aus. Diese war eine in mehrfacher Hinsicht logische und notwendige Einrichtung – über die Linke witzelten sie, „sie wären die Arschbacken der Republik und dazwischen wäre es finster“ (Peter Turrini). Aber trotz aller undemokratischer Konnotationen – wie Hyperklientelismus, Entmündigung von nicht in das System eingebetteten Gruppen (FPÖ), präparlamentarische Entscheidungen (die gehören immer noch zum Politinventar) – hat die Sozialpartnerschaft beiden Lagern eine Befriedung und eine Befriedigung gebracht. Wenn es einen größer werdenden Kuchen zur Verteilung gibt, kann man darüber zu einem Einvernehmen kommen – heute würde man Win-win-Situation sagen. Nur, dazu braucht es deutlichen wirtschaftlichen Erfolg.

Der erste Sündenfall

Der zweite Grund der guten Zusammenarbeit war die politische und gesellschaftliche Situation in den osteuropäischen Ländern und eben im Osthegemon UdSSR. Die „Sozialistische Partei Österreichs“ wandelte sich inhaltlich zur „Sozialdemokratischen Partei Österreichs“ und versuchte, alle Verdachtsmomente, sie könnte eine proletarische Revolution anzetteln, endgültig loszuwerden. In der Wirtschaftspolitik gab es hingegen gröbere Verwerfungen, intern und extern wahrgenommen als Zeichen der Verwundbarkeit der Sozialdemokratie. Ihr Versagen als Unternehmer war augenscheinlich. Die überprüfbare und belastbare Unvereinbarkeit von straffem Unternehmertum und familiärem Samthandschuh gegenüber Leistungsverweigerern hat nicht nur zu sichtbaren Pleiten, sondern auch zur abnehmenden Fähigkeit, „seine Leute unterzubringen“, geführt. Sozusagen der erste Sündenfall. Ausgehend von diesem Geschehen konnten auch die Errungenschaften nicht ad infinitum aus- oder überdehnt werden. Es gab nichts mehr zu erreichen. Der Kampf für die Arbeitnehmerrechte, die Frauenrechte, die Kinder-, Homosexuellen-, Eherechte, das Recht auf Kindergarten und Uni und das Recht auf einen funktionierenden Sozialstaat insgesamt waren durchgesetzt. Jobs in sozialdemokratischen Unternehmen waren verloren gegangen. Der Kommunismus als Zuchtmeister der sozialen Marktwirtschaft war implodiert – und China noch nicht auf der Weltbühne.

SPÖ, was nun? Mit der kurzen fremdgetriebenen Panikblüte der SPÖ unter einem kaltschnäuzigen, empathielosen Gusenbauer begann auch der weitere unaufhaltsame moralische und motivatorische Niedergang. Die endgültige Bruchstelle war der historische Betriebsunfall eines Kapitalismus auf Testosteron – die Lehmann-Pleite 2008 mit ihren desaströsen Folgen. Die große Panik, der Verlust aller Gewissheiten, die Entblößung der Ohnmacht der Nationen, der Griff in das Ersparte und der Rückbau von Privilegien und Sicherheiten konnten von einer ohnmächtigen SPÖ nicht gegenmoderiert werden.

Die Verabschiedung von einem realen oder fiktiven Verbesserungsvokabular ab 2008 und der Umbau auf eine Verteidigungsrhetorik haben der SPÖ einen endgültigen Stich in ihr Markenherz versetzt. Die Innenwirkung: Es wurde verteidigt, was man sich sozusagen in den guten Zeiten „herausgenommen“ hatte: Politisch war es zunehmend schwierig, wirtschaftlich aussichtslos und organisatorisch dadurch unattraktiv. Faymann war die verkörperte Hilf- und Ratlosigkeit. Sein Glück war Mitterlehner. Dann kam 2015, mit den Flüchtlingen und den offenen Grenzen. Humanismus nach außen zu den Flüchtlingen wurde nicht durch eine notwendige Tröstung und Beruhigung nach innen begleitet. Die Bedenken und Ängste ihrer ohnedies verunsicherten Stammwähler mit veralteten Ersatzprodukten des politischen Inventars zu beantworten war Harakiri mit Anlauf. Kerns „Plan A“ mit seiner Aufbruchs- und Aktionsrhetorik verströmte einen Schwall an kognitiver Dissonanz.

Rendi sollte Cholera wählen

Jetzt soll es Pamela Rendi-Wagner richten. Das ist aussichtslos. Die Farbe Rot befindet sich im freien Fall. Die um den kleiner gewordenen Futtertrog versammelten Funktionäre bereiten den Exodus vor. Getreue verlassen ein Schiff, auf dem eine von ihrer Mannschaft und von allen guten Geistern verlassene Kapitänin gegen Meuterei und vor allem gegen Pest und Cholera kämpft.

Bin ich noch die alte SPÖ – das ist die Pest, die alles dahinrafft. Oder werde ich zu einer neuen linkspopulistischen Partei? Dann habe ich erst recht die Cholera im Haus, die mich endgültig von meinen Wurzeln abschneidet. Rendi- Wagner sollte sich für die Cholera entscheiden.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Dr. Hans Bachmann
(*1948, Spittal/Drau) studierte Volkswirtschaft und Politikwissenschaft an der Universität Wien und in Sydney. Er arbeitete als Werbetexter, Coach, Berater und Lehrer. Unterrichtstätigkeit als Dozent an den Fachhochschulen Joanneum und Hagenberg. Themen: Kommunikation, Persönlichkeit, Kreativität.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2019)

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