Spätwerk

The Who: Nie zu alt für Rock'n'Roll-Pathos?

Ein Pop-Querkopf und sein Sänger: Pete Townshend (74, l.) und Roger Daltrey (75).
Ein Pop-Querkopf und sein Sänger: Pete Townshend (74, l.) und Roger Daltrey (75). (c) Universal
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Weise will er nicht werden, klug ist er schon lang: Was tut Who-Mastermind Pete Townshend jetzt, da er wirklich alt ist? Er veröffentlicht ein zwiespältiges Album.

Keiner braucht dieses Album. Man darf das sagen, genau das sagt auch Pete Townshend, und der ist immerhin seit 55 Jahren Gitarrist und Geist von The Who. Ein kritischer, scharfer, bitterer Geist, bitter und unbestechlich auch in eigener Sache: Townshend hat immer harte Worte für seine Rollen als Poplyriker und Star gefunden, er glaubt nicht an die Relevanz von Erwachsenen-Pop. „Rock 'n' Roll ist etwas für frustrierte, überdrehte Kinder, und nur bei ihnen funktioniert er“, sagte er einst. In diesem Sinn ließ er in „My Generation“ (1965) seinen Sänger Roger Daltrey stottern: „Hope I die before I get old.“ Ein fataler Slogan. Who-Schlagzeuger Keith Moon ist bereits 1978 an einer Überdosis von Medikamenten gestorben, Bassist John Entwistle 2002 am Kokain.

Townshend und Daltrey haben überlebt, sie geben Konzerte – originellerweise mit Zak Starkey, dem Sohn des Beatles-Schlagzeugers Ringo Starr, der viel eher nach Keith Moon klingt als nach seinem Vater –, und nun veröffentlichen sie sogar wieder ein Studioalbum, das erste seit 2006, das erst zwölfte Who-Album überhaupt. „Who“ heißt es schlicht und soll mit Großbuchstaben geschrieben werden (hier nicht, da sind wir trotzig). Das Cover ist von Peter Blake, der auch schon 87 Jahre alt ist. Er ist mit dem Artwork von „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“ in die Popgeschichte eingegangen, auch sein neues Who-Cover ist eine Collage: Motive aus der Geschichte der Band, von der Mod-Kokarde über Bohnen („Heinz Baked Beans“, 1967) und einen Flipperautomaten („Tommy“, 1969) bis zu einem Motiv aus „Face Dances“ (1981).

„All diese Musik wird verblassen“

Sieht nach einer elenden Nostalgieparade aus. Ist der alte Townshend vergangenheitsselig, versöhnlich geworden? Aber woher denn. Schon der erste Song beginnt mit gnadenlosen Zeilen, die in heftig angerissene Gitarrenakkorde stürzen: „I don't care, I know you're gonna hate this song.“ Und dann der Refrain, begleitet von einem wunderbaren Surf-Chor: „All this music will fade, just like the edge of a blade.“

Kann man einer so pathetischen Selbstkritik widerstehen? Roger Daltrey singt sie mit weit ausholender Geste, stimmlich stark gepresst, fast schon zu großspurig: ein Rockheld alter Schule, der nicht altern will (und damit erst recht altmodisch wirkt). „I don't wanna get wise“, dröhnt er zwei Songs später: „I tried hard to stay young, but the high notes were sung.“ Und wieder einmal versteht man, wozu Pete Townshend dieses voluminöse Sprachrohr braucht: Selbst könnte er solche Texte nicht mit solcher Inbrunst singen, nicht nur mangels Stimmkraft, sondern auch mangels Naivität.

Genau diese Spaltung in Verstand und Gefühl, in Einsicht und Ausdruck ist die magische Formel dieser Band, sie steckt auch hinter der majestätischen Architektur des Meisterwerks „Quadrophenia“ (1973). Arrangements, Soundmuster, sogar ganze Melodien dieses Albums übernimmt Pete Townshend in etlichen neuen Songs unverschämt, er weiß: Besser kann er's nicht. „Ball And Chain“ – unter dem Titel „Guantanamo“ schon auf einem Townshend-Soloalbum enthalten – etwa beginnt wie eine Variation über „Love Reign O'er Me“, wird diesem großen Song aber nicht ganz gerecht: Die Idee, das alte, von Big Mama Thornton geschaffene, von Janis Joplin berühmt gemachte Bluesmotiv auf eine Art Doppelanklage – gegen das kubanische Regime und gegen das US-Gefangenenlager – umzumünzen, ist originell, funktioniert aber nicht wirklich. Ähnlich ambitioniert ist „Hero Ground Zero“ – mit Anklängen an „Sea And Sand“ und ungewöhnlichen Flötenklängen.

Ganz anders im Charakter sind die Songs, die Townshend selbst singt, das Senioren-Liebeslied „I'll Be Back“, das quicke „Break The News“: bescheiden, liebenswert. In „Rockin' In Rage“ flammt dann das Rock-Feuer noch einmal auf, Townshend/Daltrey weigern sich, die Bühne zu verlassen, auch wenn ihre Knochen schon bröseln. Konterkariert wird diese heroische Pose durch das Geständnis: „I'm too old to fight.“

Auch im letzten Song kommt das großmächtige, belastete, lastende, eigentlich unmögliche Vier-Buchstaben-Wort vor, doch in anderer Bedeutung: „She Rocked My World“, heißt er, und Daltrey lässt kurz das Röhren sein, die Liebe macht's möglich. Alles in allem: Es stimmt, keiner braucht dieses Album, aber es ist durchaus brauchbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2019)

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