Eine Türkin hätte wegen ihrer mangelnden Deutschkenntnisse am Arbeitsmarkt kaum Chancen - sie müsse daher keine Unterhaltszahlungen für ihre vier Kinder leisten, beschloss das Bezirksgericht Favoriten.
Wien. Es ist eine bemerkenswerte Entscheidung, die das Bezirksgericht Favoriten fällte. Eine Türkin müsse wegen ihrer mangelnden Deutschkenntnisse keine Unterhaltszahlungen für ihre vier Kinder leisten, beschloss das Gericht.
Den Antrag hatte der Vater im Namen der Kinder eingebracht. Gleichzeitig laufe ein Scheidungs- und ein Obsorgeverfahren, sagte Thomas J. Ruža, Anwalt des Vaters zur „Presse“. Die Mutter gab gegenüber dem Bezirksgericht an, dass sie kaum Deutsch spreche. Ihr Gatte habe nicht gewollt, dass sie Deutsch lerne. Überdies hätten zwei der vier Kinder eine Behinderung. Die Frau habe sich daher keine Arbeit gesucht, weil die Kinder besonderer Pflege bedürften. Es sei ihr nicht möglich, einen Job auf dem Arbeitsmarkt zu erlangen.
Stimmt nicht, erwiderte der Vater der Kinder. Seine (Noch-)Ehefrau könne etwa im Bereich des Reinigungswesen tätig werden und rund 1000 Euro monatlich verdienen. Überdies habe er seine Frau sogar mehrfach aufgefordert, die deutsche Sprache zu lernen. Doch die Frau habe sich geweigert. Anwalt Ruža verweist überdies darauf, dass alle Kinder momentan beim Vater lebten.
Die Frau besucht nun doch einen Deutschkurs, dafür erhält sie vom Arbeitsmarktservice monatlich 397 Euro. Zu wenig, um Unterhalt leisten zu können. Doch im Unterhaltsrecht gilt der Anspannungsgrundsatz: Der Unterhaltspflichtige muss seine Kräfte „anspannen“, also so viel verdienen, wie es seine Möglichkeiten erlauben. Die Prüfung dafür erfolgt im Einzelfall. Das Bezirksgericht analysierte die Situation: „Im gegenständlichen Fall ist die Mutter der deutschen Sprache nicht mächtig. Es wird für sie daher schwierig sein, ohne Deutschkenntnisse eine Arbeit zu erlangen, da sich schon das Bewerbungsgespräch äußerst schwierig gestalten dürfte. Es kann davon ausgegangen werden, dass bei einer größeren Auswahl an Bewerbungen eine Person mit ausreichend Deutschkenntnissen vorher ausgewählt wird.“ Dass die Frau rund 1000 Euro monatlich verdienen könnte, sei „reine Fiktion“, so das Gericht (026 PU 103/09 s-12). Die Mutter ist somit nicht unterhaltspflichtig.
„Zu sehr auf Sprache fokussiert“
Der Anwalt des Vaters will den Gerichtsbeschluss anfechten. Beim Bezirksgericht Favoriten entschied eine Rechtspflegerin, nun sind Richter am Wort. „Die Entscheidung mag im Ergebnis vertretbar sein. Sie ist meiner Ansicht nach trotzdem mit guten Argumenten angreifbar“, meint die (am Verfahren nicht beteiligte) Anwältin Brigitte Birnbaum, Familienrechtsexpertin und Vizepräsidentin der Wiener Anwaltskammer. Zwar sei sehr wohl zu berücksichtigen, dass eine Person ohne Deutschkenntnisse schwerer zu vermitteln sei. Im konkreten Fall habe sich das Gericht aber „zu sehr auf die Sprachproblematik fokussiert“. Es hätte etwa geklärt werden müssen, welche Anstrengungen die Mutter bisher unternommen hat, um einen Job zu finden. Ein Freibrief für nicht deutschsprechende Personen, keinen Unterhalt leisten zu müssen, sei die Entscheidung jedenfalls nicht, betont Birnbaum.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2010)