Randerscheinung

Dieses kalte Dunkel

(c) Carolina Frank
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Auch ich spüre, wie das frühe Dunkelwerden am Abend, das einem vom Tag so gar nichts übrig lässt, an mir zu zehren beginnt.

„Es ist sooo dunkel", sagt der Älteste, als ich ihn treffe, um ihm ein paar Sachen zu übergeben, die zu Hause in seinem Zimmer waren (auch so eine Sache, die man schon vergessen hat, wenn man nicht mehr zwischen verschiedenen Wohnsitzen pendelt: Immer das, was man gerade dringend braucht, ist garantiert in der anderen Wohnung. Wobei ich gerade davon profitiere, ich trage meist Socken, die sicher nicht mir gehören). Und unter der Straßenlaterne um fünf am Nachmittag schaut der Bub ganz unglaublich blass aus. „Es ist sooo dunkel", sagt wortgleich der Mittlere, der ja gerade mit Leib und Seele Zivildiener ist, als wir ein paar Tage später kurz zusammen frühstücken, weil er ausnahmsweise zu Hause übernachtet hat. Und schaut dabei, ganz ungewöhnlich für ihn, müde und fertig aus.

Und schon ein paar Minuten später verschwindet er in dieses kalte Dunkel, um noch irgendwie die eine S-Bahn zu erwischen, die ihn pünktlich zur Arbeit bringt. Und sogar der Jüngste schläft gerade in der Früh ein wenig länger als normalerweise, weil sich der Morgen so perfekt als Nacht tarnt, dass man, ohne auf den Wecker zu schauen, gar nicht auf die Idee käme, es könnte schon so weit sein: „Wann geht eigentlich die Sonne auf", fragt auch er, als wir dem Hund das Leuchthalsband montieren, damit wir ihn bei der Morgenrunde nicht aus den Augen verlieren und die Autos ihn nicht übersehen. Und auch ich spüre, wie das frühe Dunkelwerden am Abend, das einem vom Tag so gar nichts übrig lässt, an mir zu zehren beginnt. Aber natürlich muss es für einen richtigen Advent auch ordentlich dunkel sein, sonst funktioniert das alles gar nicht richtig. Und mit Weihnachten wird es ja auch schon wieder Stück für Stück ein wenig heller. In der Kolumne sicher auch.

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 06.12.2019)

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