Staffelübergabe mit Scotch Egg: Ein Teil des Teams des Charlie P's kocht jetzt nahe dem Wiener Rathaus.
Zum Jahresende hin wird in einigen Redaktionen ein gastronomischer Rückblick erarbeitet: Welche Restaurants haben heuer zugesperrt, welche waren ein willkommener Neuzugang? Zwei Verluste für Wien sind jedenfalls das Mercado der Familie Piber am Stubenring und das Lokal Charlie P’s in der Währinger Straße mit seinem kleinen Dining Room, zuletzt als It’s All About the Meat Baby geführt, sowie das ambitioniert bekochte Bierspezialitätenlokal Brickmakers in der Zieglergasse. Beide vom Iren Brian Patton geführt, der nach Dublin zurückging. Das Mercado mit seiner großartigen lateinamerikanischen Fusionsküche und ausgesuchten Avantgardeweinen – Vergleichbares war europaweit außerhalb Londons und Barcelonas schwer zu finden – wich kürzlich einem Durchschnittsitaliener namens Leonardo; das bunte Mercado-Interieur wird nun mit dem Geruch von Salamipizza und Grillfisch mit Rosmarinerdäpfeln geflutet. Das Brickmakers indes soll langfristig ebenso weitergeführt werden wie das Charlie P’s – dessen Küchencrew nun zum Teil in einem neuen Pub am Herd steht: dem Longhall beim Rathaus, im ehemaligen Gasthaus Adam. Das grüne Dach mit dem Schriftzug „Familie Adam" breitet sich noch über dem Eingang aus, sonst aber regiert, wieder einmal sehr trübsinnlich beleuchtet, neues Pubflair.
Inklusive Lederbänke, kupferne Biertanks (darin: Kozel), Fußball auf den Bildschirmen und Englisch im Service. Auf der Speisekarte steht befremdlicherweise auch eine Quinoa-Avocado-Bowl, ansonsten erinnert so einiges an den Charlie P’s Dining Room. Die Scotch Eggs zum Beispiel: mit Wildschweinbrät umhüllte und panierte wachsweiche Eier, erfrischenderweise serviert mit würzig-säuerlichem Piccalilli, einem englischen Sauergemüse mit Karfiol, Gurkerl, Kurkuma und Senf (8,50 Euro). Die Spicy Calamari wollen wohl die Ikapiri des Mochi Ramen (im Jahr 2017 ein höchst willkommener Neuzugang, nebenbei) nachahmen; sie schmecken auch ähnlich, die Dosenraviolifarbe und die schwammige Konsistenz des Überzugs sind aber noch verbesserungswürdig (7,90). Guinnessbrot und Erdäpfelbrot werden selbst gebacken (mit gesalzener Butter 4,90), der Kabeljau in Backteig (Fish & Chips 12,90), ein großes Stück, ist zumindest an einem Ende hyperknusprig, und Sticky Bourbon Pudding mit Salzkaramellsauce und Joghurteis gibt es ebenso wie Frühstück und eine große Whiskeyauswahl – falls man sich über den ein oder anderen Verlust hinwegtrösten will.
Info
The Long Hall, Florianigasse 2, 1080 Wien, Tel.: +43/(0)1/295 10 80, Restaurant: So–Do: 9–24,
Fr, Sa: 9–2 Uhr.
("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 06.12.2019)