Kirgisistan-Krise spitzt sich zu: Usbeken sprechen von Völkermord

Kirgisistan-Krise: Usbeken sprechen von Völkermord
Kirgisistan-Krise: Usbeken sprechen von Völkermord(c) AP (Anvar Ilyasov)
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Bei den ethnischen Unruhen soll es bereits mehr als 700 Tote geben. Ein "Drahtzieher" der Gewalt wurde angeblich festgenommen. Usbekistan macht die Grenze dicht. Russland schließt einen Militäreinsatz nicht mehr aus.

Die UNO spricht von einer "humanitären Katastrophe" im zentralasiatischen Kirgisistan: Bei schweren ethnischen Unruhen zwischen Kirgisen und Usbeken starben weit über hundert Menschen. Die usbekische Minderheit sprach zuletzt sogar von mehr als 700 Toten, wie die russische Agentur Interfax berichtete. Das Rote Kreuz hatte berichtet, dass viele Leichen ohne vorherige Identifizierung begraben wurden.

Es hat eine Massenflucht eingesetzt, rund 100.000 Menschen versuchten, sich vor der eskalierenden Gewalt in Sicherheit zu bringen. Vielen gelang die Flucht ins benachbarte Usbekistan. Das Nachbarland kündigte am Montagnachmittag allerdings an, die Grenzen dicht zu machen. "Ab heute werden wir von der kirgisischen Seite keine Flüchtlinge mehr akzeptieren, weil wir sie nicht unterbringen können", sagte Vize-Ministerpräsident Abdullah Aripow. Er gab die Zahl der bereits registrierten Flüchtlinge mit 45.000 an.

"Sie bringen uns um, einen nach dem anderen"

Usbeken in einem belagerten Viertel der zweitgrößten kirgisischen Stadt Osch sprachen am Sonntag bereits von Völkermord: "Sie bringen uns um, alle Usbeken, einen nach dem anderen", sagte die 51-jährige Rani der Nachrichtenagentur AFP, nachdem sie aus ihrem Haus geflohen war. "Ich weiß nicht, was mit meinen Kindern und Enkeln passiert ist." Kirgisische Banden setzten Häuser in Brand und nähmen die fliehenden Bewohner unter Beschuss, sagte Andrea Berg, Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Augenzeugen berichteten von Leichen auf den Straßen. Auch in der Region Jalalabad verschlimmerte sich die Lage. In dem Gebiet um Osch und Jalalabad gehört etwa die Hälfte der Bevölkerung der usbekischen Volksgruppe an; im ganzen Land sind es knapp 15 Prozent der Bevölkerung. Es sind die schwersten ethnischen Unruhen im Land seit zwei Jahrzehnte.

Behörden nehmen "Drahtzieher" fest

Die kirgisische Übergangsregierung hat eigenen Angaben zufolge einen Drahztieher der Unruhen festgenommen. Die Behörden in der Stadt Jalalabad hätten eine "sehr bekannte Person" verhaftet. Die Identität des Verdächtigen wurde vorerst geheimgehalten

Wiederholt hatte die Regierung in Bischkek den im April gestürzten autoritären Präsidenten Kurmanbek Bakijew beschuldigt, hinter der Gewalt zu stecken. Der ließ aus seinem Exil in Weissrussland erklären, er habe mit den Unruhen nichts zu tun.

Kommen jetzt doch die Russen?

Im Süden Kirgisistans bereitete man sich am Montag auf die Ankunft russischer Friedenssoldaten vor. Der Flughafen der Großstadt Osh, dem Zentrum der Unruhen, habe Order erhalten, alles für die Landung der Russen in die Wege zu leiten, hieß es. Die Übergangsregierung hatte mehrmals Moskau um militärische Hilfe ersucht, die der russische Präsident Dmitrij Medwedjew zunächst aber ablehnte.

Nun schließt Moskau einen Einsatz doch nicht mehr aus. Der russische Sicherheitsrats-Chef Nikolai Patruschew sagte am Montag, dass ein von Russland geführtes Militärbündnis einen Anti-Krisen-Plan ausgearbeitet habe. Für den Einsatz russischer Friedenstruppen müssten nun die Staatschefs der 1992 gegründeten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) Grünes Licht geben. Russland hat bisher nur seinen eigenen Stützpunkt in Kant, im Norden Kirgisistans, am Sonntag mit 150 Fallschirmjägern und Munition verstärkt.

Sicherheitskräfte beteiligen sich an Gewalt

Das Rote Kreuz bezeichnete die Lage im Süden des Landes als zunehmend kritisch. Es gebe Berichte über massive Brutalität mit der Absicht zu töten. Menschenrechtsaktivisten zufolge konnten die Sicherheitskräfte die Gewalt nicht stoppen, mitunter würden sie sich sogar beteiligen. Auch viele der Flüchtlinge warfen den kirgisischen Sicherheitskräften vor, sich auf die Seite der Kirgisen zu stellen.

(Ag.)

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