Kino

Ein Israeli will aus seiner Haut

Die feinsinnige Caroline (Louise Chevillotte) soll Yoav (Tom Mercier) helfen, ein Franzose zu werden.
Die feinsinnige Caroline (Louise Chevillotte) soll Yoav (Tom Mercier) helfen, ein Franzose zu werden.(c) Filmgarten
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In Nadav Lapids eindrucksvollem Berlinale-Gewinner „Synonymes“ geht ein junger Mann nach Paris, um seine israelische Identität abzuschütteln. Leichter gesagt als getan!

Nie und nimmer werde er nach Israel zurückgehen, meint Yoav. Jamais! Er weiß nicht genau, was ihn an seinem Heimatstaat stört. Nur, dass er ihn böse findet. Obszön. Ignorant. Idiotisch. Schmutzig, widerlich, derb, abscheulich und niederträchtig! Was er in Paris will? Franzose werden. Vielleicht etwas schreiben. Und irgendwann auf dem Père Lachaise begraben werden.

Doch wie wird man Franzose? Wie wirft man eine alte, angeborene Identität ab, um sie mit einer neuen, selbst gemachten zu ersetzen? Geht das überhaupt? Um diese Fragen kreist Nadav Lapids „Synonymes“, der bei der Berlinale verdient mit dem Hauptpreis bedacht wurde – und ab heute in heimischen Kinos läuft. Yoav (sensationell: Leinwand-Debütant Tom Mercier), der eingangs aus heiterem Himmel in die französische Hauptstadt purzelt, ist von seiner Wandlungsfähigkeit überzeugt. An Entschlossenheit mangelt es ihm nicht: Wie ein gipfelstürmender Extremsportler verfolgt er sein Projekt Persönlichkeitshäutung.

Er meidet Kontakt zu alten Freunden und Verwandten. Weigert sich, Hebräisch zu sprechen. Hastet Vokabeln paukend durch die regennassen Straßen des vierten Arrondissements. Ein Glück, dass ihn Émile (Quentin Dolmaire) und Caroline (Louise Chevillotte) in freundschaftliche Obhut nehmen. Ein schönes, feinsinniges Paar, gleichsam einem Nouvelle-Vague-Film entstiegen: Sie Oboistin im Lokalorchester, Weisheit im Antlitz, Ruhe in Person. Er angehender Autor mit Lockenkopf und Rollkragenpullover, der meint, trinken zu müssen, um schreiben zu können. In einer Ecke seiner Wohnung prangen schwarze Trittspuren: „Hier wüte ich, wenn meine Worte nicht schön sind.“

Nicht einmal die Araber wollen streiten

Mit aller Kraft strebt Yoav danach, sich diesen Vorzeige-Bohemiens anzupassen. Dass er zwecks Lebensunterhalt als Security in der israelischen Botschaft arbeiten muss, wo das ihm so verhasste nationalistische Machogehabe zum guten Ton gehört, wurmt ihn. Doch so leicht wird er seine Herkunft nicht los. Wie heißt es so schön? „You can take the tiger out of the jungle, but you can't take the jungle out of the tiger.“

Regisseur Lapid schöpft aus eigener Erfahrung. Die Entfremdung von seinem Land trieb ihn einst selbst in die Ferne. Nun blickt der 44-Jährige gereift zurück, seziert mit klarem Blick die Absurdität der Idee, einen Identitätstausch als Tour de Force durchzudrücken. Und bedient sich dafür einer subtil zugespitzten Ästhetik. Manchmal wirkt das wie eine Lightversion der Verfremdungseffekte des griechischen Surrealisten Yorgos Lanthimos („The Favourite“): Alles ist ein Alzerl extremer und direkter als in Wirklichkeit, sodass die Seltsamkeit alltäglichen Verhaltens, aber auch dessen unbewusste Beweggründe deutlich zutage treten.

Am stärksten im Porträt der israelischen Kollegen Yoavs, die sich zur Büro-Begrüßung Krav-Maga-Kämpfe liefern. Wohin mit dem hurrapatriotischen Tatendrang? Wo sind die Feinde, an denen man sein Schwert wetzen könnte, die Terroristen, die Antisemiten? „Hallo, ich bin Jude“, blafft einer von ihnen provozierend ins Gesicht eines Barbesuchers. Der prostet ihm nur verdutzt zu. Später summt der Aufgedrehte verbissen die israelische Nationalhymne ins Ohr regloser U-Bahn-Passagiere. Doch nicht einmal die Araber lassen sich zum Streit animieren.

So sehr sich Yoav dagegen sträubt: Hinter seiner Ablehnung pocht die gleiche Sehnsucht nach ekstatischer Gewalt, nach Kriegsruhm und Heldentod. Die militärische Disziplin, mit der er sein Exildasein fristet (Jeden Tag dasselbe streng dosierte Nudelmahl, Kosten: 1,28 Euro) steht in krassem Kontrast zur Wohlstandsverwahrlosung seiner französischen Freunde. Und auf einer elementaren Ebene fühlt er sich zu seinen Landsmännern hingezogen. Mit Caroline hat er irgendwann Sex – doch eine Szene, in der ihm ein Arbeitskamerad auf dem Männerklo die Krawatte bindet, wirkt wesentlich intimer. Die Sozialisation in der Armee hat Spuren hinterlassen.

Hauptdarsteller Mercier, der einst Judo-Kämpfer und Tänzer war, verkörpert diese widersprüchlichen Impulse ganz buchstäblich: Sein jungenhaftes Gesicht strahlt Verletzlichkeit aus, während sein muskulöser Körper, der sich entweder hinter einem gelben Filzmantel versteckt oder unverhüllt durchs Bild flitzt, vor viriler Energie strotzt. Yoav kann einfach nicht aus seiner Haut: Wiederholt wechselt die Kamera in die nervöse Subjektive des Protagonisten, der es einfach nicht schafft, sich selbst abzuhängen.

Geht es in „Synonymes“ also um die Unmöglichkeit von Integration? Nein. Ebenso wenig lässt sich sagen, ob der bis zum Schluss ambivalente Film israelkritisch ist oder nicht. Sofern er etwas vermitteln möchte, dann, wie vermessen es ist, immanente, auch national geformte Eigenschaften des eigenen Ichs zu verleugnen. Wer sie nicht zumindest teilweise anerkennt, bleibt ewig ein Fassadenmensch – ein schales Synonym.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2019)

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