Für das Ziel der CO2-Neutralität sollen 40 Prozent der Agrarförderungen und 30 Prozent der Strukturförderungen an Klimaschutzmaßnahmen gebunden werden.
Brüssel. Wenige Tage vor der Präsentation des „Neuen Grünen Deals“ der neuen EU-Kommission wird offensichtlich, welche Auswirkungen die Klimapolitik auf die Förderungen für Regionen und die Landwirtschaft in der Union haben wird: Dort, wo die EU das meiste Geld ausgibt, wird künftig massiv umgeschichtet. 40 Prozent der Agrarförderung und 30 Prozent der Kohäsionsmittel sollen in Klimaschutzmaßnahmen fließen, kündigte Budgetkommissar Johannes Hahn vor österreichischen Journalisten in Brüssel an. Das kommt für Brüsseler Verhältnisse einer Revolution gleich. Insgesamt, so heißt es aus Kommissionskreisen, soll ein Viertel des gesamten Haushalts für Klima und Umwelt aufgewendet werden.
Da darüber hinaus weitere Milliarden für neue Investitionen in klimafreundliche Technologien fließen sollen, ist mit erheblichen Umschichtungen im gemeinsamen Haushalt zu rechnen. Das wird auch jeder landwirtschaftliche Betrieb zu spüren bekommen. Entweder die Agrarunternehmen investieren in nachhaltige Maßnahmen oder ein Großteil des Geldes aus Brüssel bleibt künftig aus. „Für Klimaschutz müssen wir mit heiligen Kühen brechen“, ist Monika Hohlmeier, die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses im Europaparlament, überzeugt. Umschichtungen in der Agrarförderung seien notwendig, so die CSU-Politikerin. Sie geht auch davon aus, dass die Landwirtschaft ein „gewisses Minus“ im neuen Haushaltsrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 wird akzeptieren müssen. Der Schwerpunkt müsse in Zukunft auf mittelständischen Betrieben liegen, nicht auf industrieller Landwirtschaft. Hohlmeier schlägt vor, die Agrarförderung nach Größe des Betriebs zu staffeln.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will kommenden Mittwoch die Grundpfeiler ihrer Klimaschutzpolitik präsentieren. Außerdem wird die EU-Kommission nächste Woche die Kosten für ein Nichthandeln vorlegen. Um Investitionen in den Klimaschutz zu ermöglichen, sollen nach den bisher vorliegenden Plänen jährlich 100 bis 300 Milliarden Euro aus Mitteln des EU-Budgets, der Mitgliedstaaten, der Europäischen Investitionsbank und privater Investoren mobilisiert werden. Bis 2030 sollen die auf diese Weise angeschobenen Investitionen laut einem internen Papier der Kommission insgesamt drei Billionen Euro betragen. Von der Leyen hat außerdem bereits vorgeschlagen, dass die EU neue, eigene Einnahmequellen schafft, um eine umfassende Förderung neuer Technologien zu ermöglichen. Als Optionen nannte sie, den Vorschlägen ihres Vorgängers, Jean-Claude Juncker, folgend, Einnahmen aus einer neuen Steuer auf Plastikmüll oder einen Teil der Einnahmen aus dem bestehenden Handel mit Emissionszertifikaten.
„Mehrere Hundert Milliarden Euro“
Ob sich die Mitgliedstaaten diese Einnahmen streitig machen lassen werden, ist jedoch fraglich. Bisher wurden die Wünsche der Kommission nach solchen Eigenmitteln von den nationalen Finanzministern stets höflich, aber bestimmt beiseitegeschoben.
Darüber hinaus kommt auf von der Leyen am Mittwoch der Tag der Wahrheit zu. Da wird sie ihren „Neuen Grünen Deal“ präsentieren – und sie wird dann nicht mehr Fragen nach dessen konkreten Kosten ausweichen können. Denn diese werden enorm sein. Als die Kommission Ende November vorigen Jahres ihre Einschätzung veröffentlichte, was es kosten würde, damit Europa bis zum Jahr 2050 netto keine Treibhausgase mehr produziert, kam sie auf zusätzliche private und staatliche Ausgaben von 175 bis 290 Milliarden Euro pro Jahr. Frans Timmermans, der für Klimapolitik zuständige Vizechef von der Leyens, wollte sich am Donnerstag auf keine konkrete Zahl festlegen. „Wir reden aber von mehreren Hundert Milliarden Euro pro Jahr“, sagte er.
Schon ist erkennbar, wie die Kommission versucht, angesichts dieser Beträge das Narrativ zu ändern: Die Kosten des klimapolitischen Nichtstuns sollen nun deren Dringlichkeit illustrieren.
Von der Leyen hat Maroš Šefčovič, einen weiteren ihrer Vizechefs, damit beauftragt, bis nächsten Mittwoch so eine Bilanz der bisherigen „Klimawandelschäden“ zu erstellen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2019)