Christina Andrea Müller

Antibiotika aus den Hochmooren?

(c) Helmut Lunghammer
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Die Biotechnologin Christina Andrea Müller sucht im Mikrobiom von Kärntner und steirischen Torfmoosen nach neuen Naturstoffen für Medizin und Landwirtschaft.

Torfmoose (Sphagnum magellanicum) aus hochalpinen Mooren in Kärnten und der Steiermark sind Christina Andrea Müllers Objekt der Begierde. Sie sind eine erkleckliche Quelle für Mikroorganismen, die sich für biotechnologische Zwecke nutzen lassen. „Schon von den Ersteinwohnern Nordamerikas, aber auch im Ersten Weltkrieg wurde Moos wegen seiner antimikrobiellen Eigenschaften für medizinische Zwecke etwa gegen Infektionen und Entzündungen genutzt“, erklärt die Biotechnologin. Sie forscht seit 2013 am Institut für Umweltbiotechnologie an der TU Graz und am vom Technologieministerium geförderten Kompetenzzentrum Acib.

Ein Schwerpunkt ihrer Forschung sind Naturstoffe, deren Bauanleitung in den Genomen aller Mikroben von Moosen zu finden sind. Übergeordnetes Ziel ist, deren Anwendung in Medizin und Landwirtschaft zu erschließen – etwa als Antibiotika, in der Krebstherapie oder als Biokatalysatoren. Im Torfmoos hat die Grazer Forscherin aber auch spezielle Enzyme gefunden, die synthetische Polymere abbauen können (Polyesterasen). Diese können für nachhaltige Recyclingprozesse relevant sein. „Die Idee ist, dass man auf die Grundbausteine dieser Kunststoffe zurückkommt und diese dann wieder benutzen kann.“

Umwelt als Reservoir für Resistenzgene

Darüber hinaus sucht Müller im Moos nach antimikrobiellen Resistenzen: „Mich interessiert, wie viele Resistenzgene gegen Antibiotika in seinem Mikrobiom vorhanden sind.“ Antibiotika sind die wichtigste Waffe bei der Behandlung bakterieller Infektionen. Der zum Teil inflationäre Einsatz in Medizin und Landwirtschaft gefährdet allerdings ihre Wirksamkeit, da Resistenzen entstehen. Das Antibiotikum unterbindet dann das Wachstum einer bestimmten Bakterienart nicht mehr. Resistenzen können zwischen Menschen, Tieren und Umwelt übertragen werden. „Es wird zunehmend zu einem Problem, dass immer mehr Keime resistent gegen Antibiotika sind“, sagt Müller. Die Umwelt spielt dabei als natürliches Reservoir für Resistenzgene eine Rolle. Bislang gibt es nur wenige Erkenntnisse zum Vorkommen von Antibiotikaresistenzen in ungestörten Ökosystemen. Auch das Resistom – also die Gesamtheit aller Antibiotika-Resistenzgene – von einheimischen Pflanzen wurde kaum erforscht. Müller und ihre Kolleginnen von TU Graz und Acib leisten bei der Untersuchung von Moosen aus österreichischen Hochmooren dahingehend Pionierarbeit.

Ihr Fazit: Die Pflanzen zeigen eine sehr hohe Diversität an Resistenzgenen. Überraschenderweise wirken diese nicht nur gegen natürliche, sondern auch gegen synthetische Antibiotika. Müller: „Das bedeutet, dass das genetische Potenzial überall in der Natur, auch in Pflanzen aus unberührten Systemen, vorhanden ist. Aber der Transfer von solchen Genen – und wir haben herausgefunden, dass es auch neue Gene gibt, die man noch nicht kennt, die dann später in Krankenhäusern ein Problem darstellen –, kommt hauptsächlich durch unser Tun. Der Mensch übt Druck auf die Mikroorganismen aus, indem er überall Antibiotika verteilt. Diese Erkenntnisse helfen uns, besser zu verstehen, wie wir in Zukunft die wirklich problematischen Keime in den Krankenhäusern bewältigen können.“

Den Weg nach Europa schlug die gebürtige Kolumbianerin mit deutschem Vater gleich nach dem Schulabschluss ein. Sie studierte Biotechnologie an der Hochschule Furtwangen in Villingen-Schwenningen (Deutschland) und promovierte an der RWTH (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule) in Aachen über Biokatalyse und Protein-Engineering.

In Graz forscht Müller übrigens Tür an Tür mit ihrem Lebensgefährten – einem ehemaligen Doktoratskollegen, mit dem sie einen zweijährigen Sohn hat. Die Vereinbarung von Wissenschaft und Elternschaft klappt mit Abstrichen: „Für anderes bleibt leider kaum Zeit, weil wir beide keine Familie in Österreich haben.“ Das ist mit ein Grund, warum das Paar im nächsten Jahr nach Deutschland zurückkehren möchte. Mit einem Auge schielt Müller aber auch in ihre eigene Heimat Kolumbien: „Ich möchte nicht mehr in der Millionenstadt Bogotá, die superchaotisch ist, leben, aber ich hoffe natürlich, dass sich einmal die Möglichkeit für eine Forschungskooperation ergibt.“

Zur Person

Christina Andrea Müller (36) ist in Bogotá, Kolumbien, geboren und aufgewachsen. Sie studierte Biotechnologie an der Hochschule in Villingen-Schwenningen sowie an der RWTH Aachen (Deutschland), wo sie 2013 promovierte. Derzeit forscht sie an der TU Graz sowie am Acib (Austrian Centre of Industrial Biotechnology) u. a. zur Bioprospektion von Pflanzenmetagenomen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2019)

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