Warum die Zeit für ein modernes Bleiberecht besonders drängt, argumentiert Christian Konrad in diesem Gastbeitrag.
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Einige hundert Unternehmen leben aktuell mit der Unsicherheit, dass ihre rund 780 Lehrlinge aus dem Betrieb gerissen und abgeschoben werden könnten. Es sind junge Menschen, die in Österreich Schutz und Perspektiven suchten, und gesetzeskonform als Lehrlinge angestellt wurden. Unternehmen loben sie, Kollegen und Kunden schätzen sie –, denn diese jungen Menschen zeichnen sich durch eine hohe Leistungsbereitschaft aus und sind damit ein Teil der langersehnten Antwort auf den Fachkräftemangel. In einigen Betrieben sind die Lehrlinge sogar der Hoffnungsschimmer zur Weiterführung des Unternehmens.
Dieses Thema ist nicht neu. Doch die monatelangen Diskussionen, Petitionen, Wortmeldungen im politischen und medialen Diskurs haben noch keine Lösung gebracht. Der Nationalrat hat zwar am 19. September mit einem Mehrheitsbeschluss von ÖVP, SPÖ, Neos und Liste Pilz einen Entschließungsantrag gefasst, der die Bundesregierung, insbesondere das Innenministerium auffordert, „ehest eine ausreichende gesetzliche Grundlage zu schaffen, die einen Verbleib von gut integrierten Menschen in Lehre bis zum Abschluss der Lehre ermöglicht“. Nun gibt es einen Vorschlag, eingebracht von ÖVP-Abgeordneten, zur Veränderung im Fremdenrecht, der bei der nächsten Plenarsitzung des Nationalrates (11. 12.) zur Abstimmung kommen soll.
VP-Vorschlag greift zu kurz
Dieser Vorschlag greift zu kurz, u. a. weil die Abschiebung lediglich bis nach Abschluss der Lehre ausgesetzt werden soll. Die Unternehmen und diese jungen Menschen haben das Recht auf eine langfristige Perspektive. Deshalb setze ich mich dafür ein, hier eine zukunftsweisende Regelung abseits des Asylgesetzes zu finden. Über das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) und unter Mitwirkung von Kommunen und Ländern, könnte ein gesetzeskonformer Aufenthaltstitel neu geschaffen werden, der gar nicht so neu ist.
Über das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz könnte – aufgrund der erwiesenen Bedarfslage – ein Unternehmen für den bereits angestellten Lehrling den Antrag auf ein modernes Bleiberecht stellen. Als Voraussetzung: Unbescholtenheit, außergewöhnliche Integration, insbesondere Deutschkenntnisse, Schulbesuch oder Arbeitsleistung, soziales Engagement. - Für die JuristInnen: im §41a Abs 10 des „Niederlassungs – und Aufenthaltsgesetzes“ lassen sich die entscheidenden Rahmenbedingungen legistisch umsetzen.
Wir brauchen eine Lösung für diese jungen Menschen sehr schnell. Denn die aktuelle Unsicherheit führt dazu, dass junge Menschen von der Angst vor Abschiebung belastet werden, teils auch in eine ungewisse Zukunft in einem anderen Staat weiterwandern. Damit verlieren nicht nur sie eine Perspektive für ihr Leben hier in Österreich. Es verlieren auch die Unternehmen und die – meist freiwilligen Helfer – für sie wichtige Mitarbeitende, Freunde bzw. Freundinnen, Familienmitglieder. Und es verliert der Rechtsstaat, dem es nicht gelingt, sich aus der Geiselhaft populistischer Politik zu befreien.
Dieser Ansatz ist auch eine Lösung für jene Lehrlinge, die bereits einen negativen Bescheid in zweiter Instanz haben – auch für sie kämpfen Unternehmen, Kollegen, Kundinnen und Gemeinden. Etwa für Hossain K., den Lehrling aus der Klinik Diakonissen in Schladming.
Eine Lösung im oben skizzierten Sinn stellt auch keinen Pull-Faktor (ein Wort, das ich eigentlich ablehne) für neue flüchtende Menschen aus. Denn was wir brauchen, ist eine Lösung für jene Lehrlinge, die schon lang im Land sind und die Zeit genützt haben. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass doch auch wieder menschengerechte und rechtsstaatliche Lösungen gesucht und gefunden werden können. Die Expertise dazu ist vorhanden, es braucht nur noch den politischen Willen.
Zum Autor
Christian Konrad (* 1943) war bis 2012 Generalanwalt des Raiffeisenverbandes und ist Initiator der Allianz Menschen.Würde.Österreich. www.mwoe.at
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2019)