Justiz

Ruf nach verpflichtender Gesetzesbegutachtung

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Richter, Anwälte und Experten sowie Staatsanwälte richten Wünsche an die nächste Koalition. Mehr Geld für die Justiz steht ganz oben.

Wien. „Erst nach nachweislicher und umfassender Begutachtung sollten Gesetze vom Ministerrat und letztendlich vom Nationalrat behandelt werden.“ Das ist eine der Forderungen, die das „Netzwerk Kriminalpolitik“ in einer Punktation an die nächste Koalition richtet. Ziel ist eine bessere Gesetzgebung, die nicht – wie etwa 2014 bis 2016 – von 281 Aufhebungen von (Teilen von) Gesetzen und Verordnungen durch den Verfassungsgerichtshof gekennzeichnet ist.

Mehr Personal gefordert

Am Netzwerk sind neben Experten, Bewährungshelfern und Opferschützern auch die Richtervereinigung und der Rechtsanwaltskammertag beteiligt. Parallel dazu haben auch die Staatsanwälte „Empfehlungen an eine neue Bundesregierung“ formuliert. Gleichklang herrscht in beiden Unterlagen beim Ruf nach mehr Personal für die Justiz einschließlich einer Stärkung von deren Öffentlichkeitsarbeit.

Das Netzwerk kritisiert, dass Begutachtungen oft zu knapp befristet seien oder gar vermieden würden. Im Gewaltschutzpaket 2019, das im Zeichen von Strafverschärfungen bei Gewalt- und Sexualdelikten steht, seien zahlreiche Stellungnahmen ignoriert worden.

Inhaltlich rufen die versammelten Juristen zu einer „verantwortungsvollen Justizpolitik“ auf, die Einschränkungen der Freiheit zugunsten der Sicherheit „nur unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit“ vornehme. Voraussetzung dafür sei eine evidenzbasierte Kriminalpolitik, die stärker auf die faktischen Auswirkungen von Gesetzesänderungen Rücksicht nehme.

Auch der Opferschutz müsse verbessert werden, etwa indem künftig nicht nur bei Gewalt in Partnerschaften, sondern auch bei anderen schweren Gewaltdelikten die Opfer an die nötigen Hilfeleistungen wie Krisenintervention oder Prozessbegleitung kommen. Täterseitig fordert das Netzwerk eine bessere Resozialisierung: „Rechtsbrecherinnen und Rechtsbrecher dürfen im Straf- und Maßnahmenvollzug nicht durch perspektivenloses Wegsperren ausgegrenzt werden.“

Breiten Raum nimmt in der Punktation die Sorge um die Ressourcen für den Rechtsstaat ein. „Eine reibungsfreie und zeitnahe Abfertigung der richterlichen und staatsanwaltlichen Erledigungen kann nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden“, heißt es in der Punktation, die den Koalitionsverhandlern übermittelt wurde. Nachdem vor allem der Personalabbau im Kanzleibereich (Beamte und Vertragsbedienstete) die Justiz an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gebracht habe, seien eine Aufnahmeoffensive und eine Verbesserung des Arbeitsumfelds dringend geboten. „Oft fehlt es sogar an der erforderlichen Literatur.“

Um das Vertrauen in die Arbeit der Justiz zu stärken, müsse die Öffentlichkeits- und Medienarbeit verbessert werden. Gerade bei der Darstellung von Strafverfahren ortet das Netzwerk eine „gewisse Schieflage“: Während die Justiz wegen fehlender Ressourcen und der Pflicht zur Verschwiegenheit in ihren Möglichkeiten beschränkt sei, bedienten sich Beschuldigte professioneller PR-Berater, um ihre Position darzustellen.

Die „Schieflage“ findet sich auch in den Empfehlungen der Staatsanwältevereinigung. Auch diese fordert eine kompetente Medienarbeit – und stimmt in den Ruf nach mehr Planstellen mit konkurrenzfähiger Entlohnung ein. Besonderes Anliegen der Staatsanwälte ist ihre politische Unabhängigkeit: Sie fordern erneut an Stelle der Weisungsspitze im Justizministerium ein „gänzlich von der Politik entflochtenes Justizorgan“. Ein fachlich höchst qualifizierter, unabhängiger General- oder Bundesstaatsanwalt sollte vom Bundespräsidenten für eine lange, aber nur einmalige Funktionsperiode ernannt werden.

Bundesstaatsanwalt als Knackpunkt

Dem Vernehmen nach haben die Grünen in den laufenden Koalitionsverhandlungen das Gleiche gefordert, was Türkis jedoch ablehnt; das dürfte einer der Stolpersteine auf dem Weg zu einer Einigung sein.

Für ihre Arbeit streben die Staatsanwälte eine Qualitäts- und Effizienzsteigerung an. Dazu gehöre der verstärkte Einsatz von Wirtschafts- und IT-Experten, die Möglichkeit der Teambildung in komplexen Verfahren und ein Abbau bürokratischer Hürden. „Selbst völlig substratlose Anzeigen erfordern eine formelle Erledigung und die Verständigung des Anzeigers“, klagen die Staatsanwälte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2019)

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