Culture Clash

Brauchtum in der Postmoderne

Es ist egal, ob im Nikolokostüm eine Frau steckt, mit oder ohne Bart. Wichtig ist, dass nicht die Muslime es sind, die den Nikolaus verbannen wollen.

Zu den Nebenwirkungen einer Volksreligion gehören die Volksbräuche – und zu den Sekundäraufgaben der Kirche in einem Land wie unserem gehört offenbar die Aufsicht über diese Bräuche. Sonst ginge ja die christliche Kultur den Bach hinunter, die sich weniger an Glaube und Lebensführung bemisst als am korrekten Erscheinen des Nikolos. Darum werde ich als Sprecher einer Diözese um diese Jahreszeit traditionell mit Nikolo-Freveln konfrontiert: Frauen als Nikoläuse. Nikolos ohne Bart, Männer wie Frauen. Und vor allem: Die Verbannung des Nikolos aus Schulen und Kindergärten!

Dazu gab es heuer eine schöne Aussendung der Türkischen Kulturgemeinde: „Die austrotürkischen Familien haben mit dem historischen Nikolaus und dem kostümierten Nikolo (mit oder ohne Bart) kein Problem, ganz im Gegenteil, sie sehen dieses Fest als kulturelle Bereicherung und als Zeichen für das barmherzige Teilen und mildtätige Geben. Der Nikolo ist für Muslime genau wie für die Christen ein Vorbild der Nächstenliebe!“ Die Verantwortlichen sollten diese Tradition „an unsere christlichen und muslimischen Kinder weitergeben“ und nicht „die türkischen Kinder und Familien diskriminieren, als wären sie gegen den ,Nikolo‘“.

Solche Erklärungen tun gut angesichts des postmodernen Advent- und Weihnachtsbrauchs der Religionsneutralität, der seine Verfechter eher bei Fanatikern der Korrektheit oder bei Kampfatheisten findet als bei Menschen anderer Religion. Ein Beispiel lieferte heuer eine Grundschule im Kanton St. Gallen. Nachdem sich vor zwei Jahren ein Vater beschwert hatte, strich der neue Direktor heuer gleich drei Lieder der Weihnachtsfeier, um ein „ausgewogeneres Programm“ zu erreichen.

Schon allein theologisch ist aber das Programm gestümpert. Denn in den gestrichenen Liedern (etwa „Fröhliche Weihnacht überall“) könnte man Jesus durchaus auch nur als den Propheten sehen, der er im Koran ja auch ist. Während er im sehr wohl gesungenen „Stille Nacht“ „Gottes Sohn“ genannt wird, was die Muslime ja nicht so sehen.

Der eigentliche Punkt ist aber: Gerade religiöse Menschen mögen es im Allgemeinen, wenn im öffentlichen Raum religiös gefeiert wird. Denn sie wollen ja selber auch feiern dürfen. Für Muslime ist in der Regel der religionsleere Raum daher weniger attraktiv als die christliche Feier. Darum nannte es Farhad Afshar, der Präsident der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz, „bedauerlich, wenn in einem christlichen Land keine christlichen Lieder mehr gesungen werden“. Ein als konservativ geltender Muslim immerhin.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2019)

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