Gesamtschule wäre in Wien "sofort möglich"

Gesamtschule waere Wien sofort
Gesamtschule waere Wien sofort(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Die Schulreform könnte schon im Herbst realisiert werden, sagt Wiens Stadtschulrats-Präsidentin Brandsteidl im DiePresse.com-Interview. Mit Coaches, Förder- und Leistungskursen.

DiePresse.com: Sie wollen eine Gesamtschule schon im Herbst umsetzen. Wie das?

Susanne Brandsteidl: Wien hat in dem Bereich schon seit den 70er Jahren Schulversuche, die Originalität ausgereizt. Wir haben 2008, als klar war, dass es einen neuerlichen Schulversuch geben soll, einen überfraktionellen Modellplan gemacht. Nach diesem Plan könnte man die Gesamtschule ab September flächendeckend einführen.

Sie halten den Schulversuch für ideal und wollen ihn 1:1 übernehmen?

Brandsteidl: Ja. Wir haben im Moment 21 Schulen, die den Kriterien gerecht werden. Sieben AHS und 14 Hauptschulen. Wir sind nicht wie die anderen Bundesländer, in denen nur die Hauptschulen teilnehmen.

Warum wollen Sie nicht die Evaluierung abwarten?

Brandsteidl: Wir haben so viele Schulversuche evaluiert, ich glaube, wir wissen schon, wie es geht.

Warum verwenden Sie den Namen AHS plus?

Brandsteidl: Die Gesamtschule hätte Fächer wie Latein oder Französisch, bisher nur an den AHS unterrichtet werden. Die neue Schule soll, wie Ministerin Karl gesagt hat, eine AHS für alle sein, aber mit dem Stützsystem und der Differenzierung, die es derzeit in den Hauptschulen gibt.

Das soll die Eltern überzeugen?

Brandsteidl: Wenn ein Schüler in der AHS Probleme hat, müssen die Eltern private Nachhilfe organisieren. Das soll aber das System bieten. Die Eltern wollen, dass ihr Kind in die AHS geht. In Zukunft beklommen sie auch das Stützsystem, damit die Kinder die Schule schaffen.

Sie glauben nicht an einen Aufstand der Eltern?

Brandsteidl: Jein. Die Angst der Eltern ist eine Nivellierung nach unten. Aber in der Neuen Wiener Mittelschule soll es ein Leistungsprogramm schon ab fünf Schülern geben. Begabten Kindern war in der AHS im Unterricht bisher fad, aber das wird sich ändern.

Wie sieht der Unterricht in einer Neuen Mittelschule aus?

Brandsteidl: Wenn die Kinder von der Volksschule kommen, teilen sie sich in Grundkurse und Leistungskurse auf. Es gibt zwei Arten von Leistungskursen: Förderkurse für die Schwächeren, damit sie beim Kernkurs mitkommen. Und Leistungskurse für die besonders Klugen.

Soll die Förderung fächermäßig stattfinden?

Brandsteidl: Ja. Wer in Mathematik gut ist, kommt in den Mathematik-Superkurs. Und von der Sir-Karl Popper-Schule haben wir uns ein Coaching-System abgeschaut. Am Montag hat der Coach eine ganze Stunde Zeit, um mit den Schülern den Plan für die Woche durchzugehen. Für leistungsstarke Schüler gibt es einen anderen Plan als für leistungsschwache. Die begabten Schüler werden von dem Coach angetrieben, mehr Leistung zu bringen. Das sollte auch die AHS-Befürworter unter den Eltern überzeugen. Die Neue Mittelschule bietet so viel mehr Differenzierung, als es jetzt gibt. Das Undifferenzierteste ist die AHS in der jetzigen Form. Die AHS im 19. oder im 13. Bezirk ist eine Gesamtschule ohne Differenzierung.

Susanne Brandsteidl ist seit 2001 Stadtschulratspräsidentin für Wien. Die promovierte Sprachwissenschaftlerin und AHS-Pädagogin unterrichtete Deutsch und Geschichte, bevor sie in den Wiener Stadtschulrat wechselte.
Wir haben noch eine weitere Maßnahme gegen den Eintopf: Mit 14 soll es wirklich ein Berechtigungssystem für die weitere Schullaufbahn geben. Es sollen etwa nicht alle automatisch in eine HTL gehen können, sondern es soll ein abgestuftes System mit einer Berufsberatung geben. Jetzt ist es ja so, dass automatisch jeder die Berechtigung hat, jede Form von Oberstufe zu machen. Das ist nicht sinnvoll. Die Schulentscheidung soll verschoben werden auf 14.

Gibt es noch weitere Kurse?

Brandsteidl: Ja, das normale Stützsystem, wie wir es schon kennen. Etwa Seiteneinsteigerkurse für die, die erst kurz in Österreich sind sowie Beratungslehrer und Psychologen.

An der Gesamtschule sollen AHS-Lehrer, Hauptschullehrer und Stützkräfte zusammenarbeiten. Wer wird wie viel verdienen?

Brandsteidl: Das können wir nicht regeln. Es verdient jeder nach Ausbildung, und eine gemeinsame Lehrerausbildung muss erst kommen. Aber ich nehme an, auch bei der „Presse“ verdient nicht jeder gleich viel.

Das sehen Sie also nicht als Problem?

Brandsteidl: Beim Schulversuch ist das im Lehrerzimmer überhaupt kein Problem. Eine neue Lehrerausbildung ist aber eine sehr wichtige Sache.

Ist es möglich, eine solche Reform gegen die Lehrergewerkschaft durchzusetzen?

Brandsteidl: Bei den Pflichtschullehrern sollte es kein Problem geben, die werden ja aufgewertet. Bei den AHS-Lehrern muss es wohl Verhandlungen geben.

Leistungskurse, Stützlehrer: Wie steht es um die Kosten einer solchen Schule?

Brandsteidl: In Wien ist das kein Thema, wir würden mit den Zuschüssen  für den Schulversuch auskommen. Das ist eher ein Problem in ländlichen Regionen.

Wie hoch würden die Mehrkosten in Wien gegenüber dem jetzigen System sein?


Brandsteidl: Zwischen zehn und 15 Prozent, je nach Schule.

Wird es einen Ansturm auf die Privatschulen geben, wenn die Reform umgesetzt wird?


Brandsteidl: Wenn wir die Reform im Schulorganisationsgesetz verankern, gibt es nur noch Gesamtschulen – egal, ob öffentlich oder privat. Wir in Wien sind in keiner Konkurrenzsituation mit den Privaten. Im Gegenteill, die Betreiber sind sehr interessiert an der Neuen Mittelschule. Und wir wollen nicht auf sie verzichten.

Glauben Sie wirklich daran, dass eine Gesamtschule kommt?

Brandsteidl: Ja, ganz sicher. Die Anschaffung des Samstagsunterrichts war auch eine unglaubliche Diskussion. Dann ist das innerhalb weniger Jahre gekippt. So wird es auch bei der Gesamtschule und der Ganztagsschule sein.

Beim jetzigen Schulversuch: Weichen viele Eltern auf andere Schulen aus, weil sie ihr Kind nicht auf eine Gesamtschule geben wollen?

Brandsteidl: Das kann man schwer sagen, weil viele Kinder nicht direkt im Umfeld in die Schule gehen. Mein Sohn geht in das Musikgymnasium, das ist auch in einem anderen Bezirk, als ich jetzt wohne. Es wird auch immer beliebtere und unbeliebtere Schulstandorte geben.

Wird es mit einer Gesamtschule einen noch härteren Kampf um Standorte geben?

Brandsteidl: Nein, das glaube ich nicht.

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