Mein Montag

Wer hat dem Tannenbaum das h weggenommen?

Es macht einen Unterschied, ob man „o“ oder „oh“ schreibt. Ah, das wussten Sie nicht? Ach Gott!

Oh Tannenbaum ist gar nicht so eindeutig. Denn korrekt muss es „O Tannenbaum“ heißen. Und ja, da gibt es einen Unterschied. Das O ist nicht nur das vermutlich kürzeste Wort der deutschen Sprache, sondern auch ein vokativischer Artikel. Soll heißen, dass es im Deutschen einem Namen oder sonstigen Anruf einer Person (oder Sache) vorangestellt werden kann – also etwa bei „O Gott“. (In einigen Sprachen wird die Anrede mit einem eigenen Fall, dem Vokativ, gelöst – aus dem lateinischen „Brutus“, zum Beispiel, wird in der direkten Anrede „Brute“.) Daneben kann das o auch bei Wörtern der Zustimmung oder Ablehnung vorangestellt werden. O nein! O doch! Dagegen steht das oh als Wort für sich, in der Regel als Ausruf der Überraschung oder Verwunderung. Oh, das wussten Sie nicht? Aber es erklärt, warum „O Tannenbaum“ nicht „Oh, Tannenbaum“ heißt. Die zweite Variante wäre natürlich gültig, würden Sie nichtsahnend Ihre Wohnung betreten und plötzlich ein Tannenbaum vor Ihnen stehen: „Oh, ein Tannenbaum!“ Aber das war wohl nicht die Intention des Liedes. (Fun Fact: Bei „O du lieber Augustin“ wäre wohl auch „Oh, du lieber Augustin“ möglich.)

Ah, noch etwas! Das „Ah“ ist als Ausruf der Verwunderung auch möglich, in der Regel verbunden mit etwas Positivem, also etwa Freude (Ah, ein Tannenbaum!) oder dem plötzlichen Verstehen (Ah, jetzt kapiere ich es!). In diesem Zusammenhang kennt man auch das „Aha“. In Grimms Wörterbuch wird es als im Auslaut betontes, verstärktes „ah“ geführt, das jedoch nicht zu einem „ach“ wird. Das wäre dann nämlich eher ein Ausruf des Schmerzes, vergleichbar einem Seufzen. („Ach, ein Tannenbaum!“ Dabei wollten Sie doch eigentlich eine Fichte.) Nicht nachvollziehbar? Dann singen Sie Ihr Weihnachtslied halt, wie Sie wollen. Von mir aus auch „Du Tannenbaum!“ Ach Gott!

E-Mails an:erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2019)

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