Fall des Kommunismus

Der Marsch der hunderttausend Slowaken nach Österreich

Symbolbild Bratislava von der österreichischen Grenze gesehen.
Symbolbild Bratislava von der österreichischen Grenze gesehen. (c) FABRY Clemens
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Am 10. Dezember 1989 zog eine riesige Menge von Bratislava friedlich nach Hainburg. Und die Grenze fiel wie von selbst. Jan Budaj, Ikone der „Sanften Revolution“ im Gespräch.

Bratislava. 10. Dezember 1989. Der Sturz des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei ist in vollem Gange. Da machen sich im eiskalten Winter mehr als 100.000 Menschen mit dem Slogan „Ahoj Europa!“ (Hallo, Europa!) von Bratislava aus auf den Weg über die bis dahin undurchlässige Grenze ins niederösterreichische Hainburg. Der legendäre Marsch ist Höhepunkt und symbolischer Abschluss der Wende-Demos im slowakischen Landesteil der ČSSR.

„Für mich war das ein Wunder, was 1989 geschah“, erinnert sich im „Presse“-Interview Jan Budaj, Ikone der „Sanften Revolution“, wie die Slowaken sie nennen (in Tschechien „Samtene Revolution“). „Der Marsch nach Hainburg hatte für mich besondere emotionale Bedeutung. Ich saß als junger Student wegen eines Versuchs des illegalen Grenzübertritts im Gefängnis. Da hörte ich die Propaganda des Regimes, speziell den Ausspruch von Parteichef Gustáv Husák, die jungen Leute sollten sich nicht einbilden, dass die Grenze eines Tages ein Spazierweg sei. Doch genau das haben wir verwirklicht: Mit Zustimmung der österreichischen Behörden wurde die Grenze zu jenem Spazierweg. Ich ziehe bis heute den Hut vor den österreichischen Lokalpolitikern, die uns das erlaubt hatten, und vor der österreichischen Bevölkerung, die sich spontan solidarisch zeigte und uns warmen Tee reichte.“

Westliche TV-Teams zählten von Helikoptern aus sogar 150.000 und mehr Teilnehmer, weitere Zehntausende hatten vom slowakischen Ufer aus ein Konzert eines Protestsängers verfolgt, berichtet Budaj. Die damalige Botschaft sei zur Vision für die weiteren 30 Jahre der Slowakei geworden, die heute Mitglied von Schengenraum und Eurozone ist. „Anders, als es der auf Prag fixierte Westen wahrnahm, gab es eigentlich zwei Revolutionen mit einer gemeinsamen Vision von Demokratie und Freiheit, aber verschiedenen historisch-politischen Wurzeln. Damit war eigentlich der Grundstein für die Trennung von Tschechien und der Slowakei gelegt“, so Budaj. Bis heute sei die im Vergleich zum stets auch stark auf die USA blickenden Tschechien stärkere proeuropäische Orientierung der Slowakei sichtbar. „Wir wollten mehr wie die Österreicher sein.“

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