Schuld am Scheitern der Ehe nicht prüfen

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Die jetzigen Scheidungskriege seien kontraproduktiv, meint die Vorsitzende der Familienrichter, Doris Täubel-Weinreich. Trennungskinder sollen keinen primären Aufenthaltsort mehr benötigen.

„Die Presse“: Am 24. Juni findet eine parlamentarische Enquete zum Besuchs- und Unterhaltsrecht statt. Welche Änderungen fordern Sie von der Politik?

Doris Täubel-Weinreich: Wir sprechen uns dafür aus, dass es nach der Scheidung eine automatische gemeinsame Obsorge gibt. Und zwar im Gegensatz zur jetzigen Rechtslage ohne Festlegung eines Hauptaufenthaltsortes des Kindes, sodass es wirklich eine gemeinsame Obsorge ist. Vor der Scheidung soll einmalig eine verpflichtende Elternberatung stattfinden.

Wann kann dann die gemeinsame Obsorge beendet werden?

Täubel-Weinreich: Die Aufhebung der gemeinsamen Obsorge soll nur mehr bei einem wichtigen Grund erfolgen. Momentan ist es so, dass einer allein zu Gericht geht und sagt, er will keine gemeinsame Obsorge mehr. Und dann muss ein Obsorgeverfahren eingeleitet werden. Das wäre laut unserem Vorschlag nicht mehr so.

Was erhoffen Sie sich durch diese Änderung?

Täubel-Weinreich: In den Obsorgeverfahren gibt es momentan einen Streit darum, wer der bessere Elternteil ist. Und diese Streitigkeiten sind für das Kind entbehrlich. Deswegen soll auch das Verschuldensprinzip bei der strittigen Scheidung fallen. In einer Trennungssituation ist ein Scheidungskrieg völlig kontraproduktiv für das Obsorgeverfahren.

Das Verschulden an der Scheidung soll also keine Rolle mehr spielen. Gilt das dann auch für die Bemessung des Unterhalts für den Ex-Ehepartner?

Täubel-Weinreich: Beim Unterhalt wird man sich irgendetwas überlegen müssen. Aber manche streiten ja nur um das Verschulden, weil einer die Scheidung will und der andere nicht. Wir wollen, dass man für die Scheidung nur mehr prüft, ob die Ehe wirklich zerrüttet ist. Beim Unterhalt muss man dann aber schon prüfen, ob dieser angemessen ist. Also, dass die Frau den Mann betrügt, der Mann arm ist und dann noch Unterhalt zahlen muss – das sollte es nicht geben. Hier soll das Verschulden schon eine Rolle spielen.

Viele Kinder werden unehelich geboren. Soll es auch hier automatisch eine gemeinsame Obsorge der Eltern geben? Momentan muss diese erst von den Eltern extra beantragt werden.

Täubel-Weinreich: Wir sehen hier überhaupt keinen Änderungsbedarf. Sollte aber nach dem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte doch eine Änderung nötig sein, würden wir meinen, dass der Vater zumindest eine Willenserklärung abgeben muss, um die gemeinsame Obsorge zu bekommen. Und wenn die Frau das nicht will, soll sie bei Gericht einen Antrag stellen können, dass man die gemeinsame Obsorge wieder aufhebt. Wir wollen keine automatische gemeinsame Obsorge für uneheliche Kinder.

Warum nicht?

Täubel-Weinreich: Es besteht dann die Gefahr, dass Mütter nicht angeben, wer der Vater des Kindes ist, um ja nicht die gemeinsame Obsorge mit dem Vater zu haben. Und es gibt auch Väter, die gar kein Obsorgerecht haben wollen.

Im Besuchsrecht gibt es immer wieder Probleme – wo sehen Sie hier Änderungsbedarf?

Täubel-Weinreich: Die Deutschen haben den „Umgangspfleger“. Er holt Kinder von der Mutter ab, bringt sie zum besuchsberechtigten Vater und wieder zurück. In hochstrittigen Fällen bleibt der Umgangspfleger sogar während des Besuchs des Kindes beim Vater dabei. Dieses Modell gefällt mir gut.

Sie fordern auch eine Vermittlungsstelle bei Gericht, wie soll diese im Detail funktionieren?

Täubel-Weinreich: Der Besuch der Vermittlungsstelle soll bei Besuchsrechtsstreitigkeiten verpflichtend sein. Die Stelle ist bei Gericht, die Leute gehen aber nicht zum Richter, sondern zur Vermittlungsstelle. Dort versuchen Psychologen, eine Lösung zu finden. Und wenn es keine Lösung gibt, kann die Vermittlungsstelle eine Stellungnahme für das Gericht schreiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2010)

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