Schwarz-gelbe Koalition kämpft ums Überleben

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SPD und Grüne fordern Neuwahlen, die Regierung gibt Durchhalteparolen aus und bangt vor dem 30. Juni. Die Regierung zerreibt sich unterdessen in Debatten über das Sparpaket und die Steuerpolitik.

Berlin. „Was ist dein Tipp? Hält die Koalition oder nicht?“ Diese Frage treibt derzeit nicht nur das sogenannte politische Berlin um; sie beschäftigt auch die deutschen Bürger, wenn diese zwischendurch aus der WM-Euphorie in die politische Wirklichkeit auftauchen. Und da herrscht Endzeitstimmung: Die Regierung ist immer stärker zerstritten, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihre Truppe nicht im Griff, die Opposition fordert bereits Neuwahlen. Die Ernüchterung hat auch die Bevölkerung erfasst: Eine Mehrheit – 55 Prozent – erwartet einen Bruch des schwarz-gelben Regierungsbündnisses, nur 37 Prozent glauben an den Bestand der Koalition bis Herbst 2013.

Opposition wittert Chance

„Wir könnten sofort eine Regierung übernehmen“, erklärte nun SPD-Chef Sigmar Gabriel. Seine Partei und die Grünen hatten zuvor wegen der massiven Konflikte in der Koalition Neuwahlen ins Gespräch gebracht. „Diese Regierung ist gescheitert, und wenn die das einsehen, wäre eine vorgezogene Bundestagswahl der sauberste Weg“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier. Und Renate Künast von den Grünen stimmte mit ein: „Das Wort Neuwahl ist im Kopf und im Herzen von jedem, der jetzt politisch verantwortlich denkt.“ Die Fraktionsvorsitzende der Grünen forderte Merkel auf, die Schlussabstimmung über das Sparpaket mit der Vertrauensfrage zu verbinden.

Die Regierung zerreibt sich unterdessen in Debatten über das Sparpaket, die Steuerpolitik, die Wehrpflicht, die Gesundheitspolitik, den künftigen Bundespräsidenten. Zuletzt soll auch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit Rücktritt gedroht haben, was sein Ministerium allerdings gestern dementierte. Die Risse verlaufen zwischen zwischen Union und FDP, zwischen CSU und FDP, aber auch zwischen den Schwesterparteien der Union. Die Kür des Präsidentschaftskandidaten der Regierung ist ebenso schiefgelaufen wie die Verabschiedung des Sparpakets, das eigentlich einen Neuanfang signalisieren und die Koalition kitten sollte. Solche Neuanfänge sind allerdings in den vergangenen Monaten wiederholt angekündigt worden, aber nie gelungen.

Seit das Sparpaket vor einer Woche präsentiert wurde, ebbt auch die Kritik aus den Reihen der CDU nicht ab. Mehrere christdemokratische Ministerpräsidenten fordern Korrekturen wie die Rücknahme der Steuerbegünstigungen im Hotelgewerbe oder einen steuerlichen Zuschlag bei Spitzenverdienern. In der Bevölkerung ist der Unmut ohnehin groß: 79 Prozent halten das Sparpaket für sozial unausgewogen. Am Wochenende gab es bereits Großdemonstrationen gegen die Sparpläne, die Veranstalter kündigten einen „kämpferischen Sommer und Herbst“ an.

Merkels Autorität bröckelt

Merkel, die zunehmend schlechte Figur macht und von der deutschen Presse immer heftiger kritisiert wird, mahnt unterdessen zu Geschlossenheit und Disziplin. Es sei „geboten, dass alle in der Koalition das Paket auch bei den Bürgern vertreten und dafür werben“. Nur durch Verlässlichkeit könne die Regierung wieder Vertrauen gewinnen, die Koalitionspartner müssten im Umgangston „abrüsten“.

Mehrere Unions-Politiker wiesen den Ruf der Opposition nach Neuwahlen am Montag entschieden zurück. Sie räumten zwar ein, dass die Koalition „im Augenblick in der Öffentlichkeit nicht gut dasteht“ (Unions-Fraktionschef Volker Kauder), dass die Außendarstellung „suboptimal“ sei (CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt), gaben sich aber demonstrativ überzeugt vom Fortbestand der Regierung. Auch FDP-Chef Guido Westerwelle strich deren „klare Mehrheit“ und den „ebenso klaren Regierungsauftrag“ heraus. „Ich will nichts beschönigen, aber wir schauen nach vorn.“

Konkret heißt das zunächst einmal: auf den 30.Juni. Denn der Tag der Bundespräsidentenwahl gilt als entscheidend für die Zukunft der Kanzlerin und der Koalition. Zwar geht Merkel „klar davon aus“, dass ihr Kandidat Christian Wulff eine Mehrheit in der Bundesversammlung bekommen wird. Aber es besteht durchaus die Möglichkeit, dass frustrierte Abgeordnete der Liberalen und der Union aus der Abstimmung eine Denkzettelwahl machen.

AUF EINEN BLICK

Die Regierung ist zerrüttet, die Opposition fordert Neuwahlen. Auch die Mehrheit der Deutschen rechnet mit einem Bruch der schwarz-gelben Koalition. Alles wartet nun gespannt auf die Bundespräsidentenwahl am 30.6.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2010)

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