Das fruchtbare Tal der Konflikte

Im Ferganabecken streiten gleich drei Staaten um Wasser und Landbesitz.

Man könnte Soch als Kuriosum abtun: Eine usbekische Enklave im Süden Kirgisistans, mit einer tadschikischen Bevölkerungsmehrheit. Doch Soch – und die (Grenz-)Hürden, die seine 65.000 Bewohner auf der Fahrt zur Arbeit oder zum Markt der nächsten Stadt tagtäglich überwinden müssen – sind typisch für das Ferganatal.

Das Ferganatal, in dessen kirgisischem Teil es in den vergangenen Tagen zu blutigen Szenen gekommen ist, ist ein Tal der Konflikte. Seit ihrer Unabhängigkeit streiten Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan um den Grenzverlauf der Republiken samt ihren acht Enklaven, der in den 1920er-Jahren nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ gezogen wurde.

Knapp zwei Drittel der Bewohner des 300 Kilometer langen Ferganabeckens sind Usbeken. Sie leben nicht nur im größten, usbekischen Teil des Tales, sondern auch an den Tadschikistan und Kirgisistan zugesprochenen Rändern: Ein Drittel der Bewohner Nordtadschikistans und 27 Prozent der Bürger Südkirgisistans sind Usbeken.

Oft wurzeln die auf den ersten Blick ethnischen Spannungen in Verteilungsfragen: Schon vor dem Zerfall der Sowjetunion kam es Juni 1990 im kirgisischen Uzgen zu Gewalttaten zwischen Usbeken und Kirgisen – wegen Landbesitzes.

Auslandsusbeken klagen, dass sie in Kirgisistan keine Chancen auf Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor hätten; viele sind deshalb im Handel tätig – nicht zufällig ging der große Markt von Osch in den letzten Tagen in Flammen auf.

Islamistische Bedrohung

Auch die Sicherstellung der Wasserversorgung aus den Gebirgen Kirgisistans, ohne die der fruchtbare Boden und die zwölf Millionen Einwohner des Tales nicht leben können, ist ein Konfliktfeld. Und schließlich schieben sich die drei „Stans“ die Bedrohung, die von islamistischen Gruppierungen ausgeht, gegenseitig in die Schuhe. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Südkirgisistan verschärfen nun die ohnehin angespannte Lage im Ferganatal. 80.000 Flüchtlinge sollen sich – nachdem sie zunächst an der abgeriegelten Grenze ausharren mussten – nun in usbekischen Zeltcamps aufhalten. Taschkent empfängt sie nicht mit offenen Armen. Der autoritäre Präsident Islam Karimow ist kein Freund der Auslandsusbeken: Er befürchtet Destabilisierung, sei es durch Reformer oder Islamisten.

Fünf Jahre ist es her, da rollte die Flüchtlingswelle in die Gegenrichtung: Nach der brutalen Niederschlagung des Aufstandes von Andischan flüchteten hunderte Usbeken nach Kirgisistan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2010)

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