Gastkommentar

Der Frust der angehenden Ärzte

(c) Peter Kufner
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Wiener Medizinstudenten müssen im fünften Jahr ihres Studiums ins benachbarte Ausland, wenn sie nicht in Wiener Krankenanstalten versauern möchten.

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Obwohl das Diplomstudium der Humanmedizin in Österreich aus Steuermitteln der öffentlichen Hand finanziert wird, werden Studierende jüngst regelrecht gezwungen, bereits während des Studiums ins Ausland auszuweichen. Zumindest wenn sie sich nicht mit den teilweise chaotischen Zuständen in den Wiener Krankenhäusern – überfüllte Ambulanzen und Stationen, zu wenig Personal, kein Interesse der Ärzte an der Lehre – abfinden wollen. Im Ausland winken dann zum Teil lukrative Jobangebote und Ausbildungsplätze, die von Studenten gern angenommen werden – auch, wenn sie eigentlich gar nicht geplant haben, Österreich zu verlassen.

Zum Hintergrund: Die beiden letzten Jahre des Medizinstudiums in Österreich entsprechen dem dritten Abschnitt der Ausbildung. Dieser klinische Teil der Ausbildung soll einen möglichst großen Einblick in diverse Abteilungen des Krankenhausalltags und medizinische Fachrichtungen ermöglichen. Der Lerneffekt und die Erfahrungen, die man vor Ort sammelt (oder eben nicht), sind direkt und ausschließlich von den Rahmenbedingungen und dem Personal vor Ort abhängig.

Jeder Dritte studiert in Wien

Anders als dies bei den verpflichtenden zwölf Famulatur-Wochen im zweiten Abschnitt und dem klinisch-praktischen letzten Studienjahr (KPJ) der Fall ist, ist es Studierenden der Medizinischen Universität Wien – hier studiert jeder dritte Medizinstudent in Österreich – nicht möglich, im fünften Studienjahr Erfahrung an Lehrkrankenhäusern im Rest Österreichs zu sammeln. Sehr wohl jedoch kann man seine Zeit recht einfach im Ausland absolvieren. Deutschland und die Schweiz sind beliebte Ziele, nicht nur während, sondern auch nach dem Studium. Denn – und das ist die Krux – die Qualität der klinischen Lehre lässt in den Krankenanstalten Wiens zum Teil stark zu wünschen übrig. Als noch motivierter, lernwilliger Student ist man dem – zugegeben oft heillos überforderten – Personal vor Ort sehr oft einfach lästig, man lernt deshalb zu wenig und könnte genauso gut zu Hause bleiben. Die Unterschrift gibt es am Ende trotzdem. Dafür gibt es ausreichend Beispiele und Erfahrungsberichte aus der Praxis, wie ein kurzer Blick in eines von mehreren Onlineforen, in denen Studenten ihre Famulatur- und Praktikumsplätze bewerten, bestätigt.

Wer sich nicht überflüssig vorkommen und unfreundlich behandeln lassen will, sondern tatsächlich etwas lernen möchte, versucht also, die Rotation durch gewisse Wiener Spitäler (Anmerkung: Ausnahmen an einzelnen Abteilungen und Spitälern bestätigen die Regel) tunlichst zu vermeiden. Da man nicht ins Heimatbundesland oder ein anderes Klinikum in Österreich ausweichen kann, bleibt als einzige Alternative der Gang ins Ausland.

Zurück in Wien will man fort

Einige groteske Beispiele aus der Praxis: Tertiale im Rahmen eines Auslandsaufenthaltes sind auch in Passau, nur wenige Kilometer von Österreich entfernt, möglich. Auf der anderen Seite der Grenze, etwa in Schärding, jedoch nicht. Solche Beispiele lassen sich zur Genüge rund um Österreich fortsetzen: in Salzburg und Bayern, Dornbirn und St. Gallen, Bregenz und Lindau oder Klagenfurt und Ljubljana.

Vor Ort werden den Studenten oft recht bald Ausbildungsstellen zum Facharzt und lukrative Jobangebote unterbreitet. Zurück in Wien wünscht man sich dann oft nur eines: zurück ins Ausland, wo man freundlich aufgenommen und die eigene Motivation und Arbeit gefühlt um einiges mehr wertgeschätzt werden als in Wien.

Im krassen Gegensatz zu den Erlebnissen in Wiener Spitälern steht auch die Erfahrung, die man in vermeintlich kleineren Spitälern Österreichs im Rahmen einer verpflichtenden Famulatur, die bereits ab dem zweiten Studienjahr möglich ist, sammeln kann. Beispielhaft seien die Kliniken Wels und St. Johann/Tirol erwähnt: Hier trifft man als Student nicht nur auf Studierende anderer Universitäten, sondern auch auf überaus bemühtes, kompetentes und freundliches Personal, das sich mitunter rührend um die Ärzte von morgen kümmert – sowohl fachlich als auch menschlich.

Warum den Wiener Medizinstudierenden im fünften Jahr der Gang in die Bundesländer verwehrt bleibt, ist unverständlich. Was bleibt, sind frustrierte Studenten, die ihre schlechten Erfahrungen im schlimmsten Fall ein Berufsleben lang mitführen, Österreich und den heimischen Arbeitsbedingungen den Rücken kehren oder den Arztberuf an den Nagel hängen, um einen besser dotierten Job in der Pharmabranche anzunehmen.

Die medizinische Ausbildung wurde von der Gesamtheit einer alternden Gesellschaft finanziert, die früher oder später mit dem drohenden Ärztemangel konfrontiert wird. Und das, obwohl theoretisch ausreichend Medizinernachwuchs Jahr für Jahr die heimischen Fakultäten mit dem Doktortitel in der Tasche verlässt.

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Quellen:

- „Österreich ist ein Ärzte-Produzent für die Welt", so der Rektor der Medizinischen Universität Wien (!), Markus Müller, im KURIER-Gespräch. https://kurier.at/wirtschaft/karriere/warum-immer-mehr-jungmediziner-oesterreich-verlassen/264.217.142)

- „Österreich hat keinen Ärztemangel, sondern ein Verteilungsproblem.“ & „Solange die Ausbildung in den österreichischen Kliniken keinen Stellenwert hat und es zusätzlich noch Wartelisten für Ausbildungsplätze gibt, werden sich die Absolventen nach Ausbildungsstellen in der EU umsehen.“ https://www.derstandard.at/story/2000047678932/die-angst-vor-dem-ende-der-medizinquote

-  „Heute gibt es die höchste Alters-Konzentration bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten mit einem Lebensalter um die 56-58. In 10 Jahren werden die meisten aus dieser Gruppe bereits in Pension sein. Konkret werden dann 48 Prozent aller niedergelassenen Ärzte, also fast die Hälfte, das Pensionsantrittsalter erreicht haben."

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20181218_OTS0088/neue-zahlen-aerztemangel-verschaerft-sich-in-oesterreich-rapide

- https://www.meduniwien.ac.at/web/studierende/international/move-to-improve-rahmenbedingungen/

- https://human.oehmedwien.at/5tes-jahr/

- https://www.medizinstudieren.at/allgemeine-informationen/studienplaetze-platzvergabe/

- https://www.pj-ranking.de/review/read/26924/

Martin Angerer (BA) studiert im vierten Jahr an der Medizinischen Universität Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2019)

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