EU-Gipfel

Nervöses Warten der Europäer

Mit seinem plötzlichen Erscheinen im Pressesaal des Brüsseler Ratsgebäudes sorgte Charles Michel am Mittwoch für große Überraschung.
Mit seinem plötzlichen Erscheinen im Pressesaal des Brüsseler Ratsgebäudes sorgte Charles Michel am Mittwoch für große Überraschung.APA/AFP/WOJTEK RADWANSKI
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Die 27 Staats- und Regierungschefs schwören sich auf eine Linie gegenüber London ein: Einigkeit und Bereitschaft zum Verhandeln über die Zeit nach 2020.

Brüssel. Mit seinem plötzlichen Erscheinen im Pressesaal des Brüsseler Ratsgebäudes sorgte Charles Michel am Mittwoch für große Überraschung bei den anwesenden Hunderten EU-Korrespondenten aus aller Herren Länder. In der Frage jedoch, wie sich die 27 Staats- und Regierungschefs unter seiner Vorsitzführung am Freitag bei ihrem Gipfel auf die Eventualitäten der britischen Parlamentswahlen vorbereiten werden, blieb der neue Präsident des Europäisches Rates äußerst vage: „Wir werden sehen, was das Ergebnis sein wird. Aber eines ist klar: Wir sind bereit, die Einheit der Union zu bewahren. Und wir sind auch bereit, die nächsten Schritte für das künftige Verhältnis zu setzen.“

Doch die Nervosität der Europäer angesichts des Ausgangs der Unterhauswahlen am Donnerstag ist in Brüssel allerorten spürbar. Hinter der betonten Gelassenheit nehmen tiefe Sorgen über den Umgang mit dem britischen Wahlergebnis Form an. „Briten, sagt uns endlich, was Ihr wollt“, brachte eine europäische Diplomatin am Mittwoch die Stimmungslage bei den 27 verbleibenden Mitgliedstaaten auf den Punkt.

Ja vor Weihnachten nötig

Auf den ersten Blick möchte man glauben, dass die EU mit einem klaren Wahlsieg von Premierminister Boris Johnsons Konservativen einfacher umgehen könnte. Er will ja bekanntlich das mit der EU fertig verhandelte Austrittsabkommen per Ende Jänner umsetzen. Doch so simpel ist die Sache nicht. Denn erstens müsste Johnson das entsprechende Brexit-Gesetz noch vor Weihnachten durchs Parlament bringen. Das bedingt, dass er eine klare Mehrheit erzielt. Denn auf die Parteidisziplin der Tories will man sich in Brüssel nach den bisherigen Erfahrungen nicht mehr verlassen. Zweitens müsste dieses Abkommen in der dritten Jännerwoche vom Europaparlament ratifiziert werden. Das wäre an sich kein Problem – etwaige Nachverhandlungen sind aber ausgeschlossen. Fertig ist der Brexit damit aber noch lange nicht. Denn bis Ende 2020 gilt eine Übergangsfrist. Sie soll dazu dienen, ein Handelsabkommen zu verhandeln. Das gilt als praktisch unmöglich; zu kompliziert ist die Materie, zumal Johnson alle Winkelzüge probieren wird, um ein möglichst vorteilhaftes Abkommen zu erhalten. „Das wird harte Arbeit für die EU“, warnte die Diplomatin. Verhandeln wird jedenfalls weiterhin Michel Barnier. Bis Juli muss klar sein, ob die Übergangsfrist reicht, oder ob sie verlängert werden muss. Letzteres hat Johnson bisher ausgeschlossen.

Und wenn Labour-Führer Jeremy Corbyn gewinnt? Dann gibt es ein ganz anderes Szenario. Corbyn will ja nicht nur neu verhandeln und das Ergebnis dessen einem zweiten Referendum unterziehen. Er will auch das Wahlalter auf 16 Jahre senken und die mehr als dreieinhalb Millionen Auslandsbriten wählen lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2019)

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