Sahara

Marokko: Stille zwischen Sandkörnern

Wüstenspaziergang
Wüstenspaziergang(c) REUTERS (Zohra Bensemra)
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Keine Klimaanlage, kein Pool, keine Quad-Tour. Dafür ein Nomade, der mit großem Herz seine Wüste zeigt, eine stille Nacht in den Dünen und Alltagsleben in einem nahezu vergessenen Dorf. Alternatives Reisen am Rand der Sahara.

Eine Herde Dromedare schaukelt gelassen durch die Sahara. Der Begriff „Wüstenschiffe“ bekommt eine offensichtliche Bedeutung, als sich die graue Steinlandschaft in ein faszinierendes Blaugrau wandelt. „Hier kommt der blaue Wind her“, erklärt Ahmed. Wenn er mit seinem Jeep in die Sahara im Süden Marokkos fährt, ist kein Navi oder GPS nötig. Er kennt jeden Stein, denn bis zu seinem 16. Lebensjahr ist auch er mit Dromedaren und seiner Nomadenfamilie durch die Wüste gezogen. Jetzt zeigt er Touristen seine Welt. Dafür hat Ahmed Französisch sowie Englisch gelernt und ein Lokal eröffnet, das aussieht wie eine kleine Burg. Es ist die ehemalige Koranschule in Foum Zguid, einem kleinen Ort am Rand der Sahara. Wo möchte er lieber leben, in der Sahara oder in der Stadt? Ahmeds Augen beginnen zu leuchten: „In der Wüste spürst du das Leben. Da gibt es klare Regeln. In der Stadt aber ist alles so schnell und oft so kompliziert.“ Deshalb freut er sich über jede Gelegenheit, mit seinen Gästen loszufahren.

Die Stille der Wüste

Da steht Ahmed nun, weite blaue Hosen, den Turban um den Hals geschlungen – inmitten einer endlos salzig-weißen Fläche: „Hier war einmal ein See. Als ich ein Kind war, sind da Boote gefahren und rundherum Palmen gewachsen, aus denen Öl gewonnen wurde. Aber der Iriki-See ist ausgetrocknet, weil ein Staudamm im Norden gebaut wurde, das hat vielen Nomaden die Lebensgrundlage genommen.“ Das Wasser, das wir in der flirrenden Hitze sehen, ist nur mehr eine Fata Morgana.

So hat auch die Raststation für Karawanen an Bedeutung verloren, keine Dromedare mehr, dafür viele Solar-Paneele, einige Kinder spielen im Schatten der würfelförmigen Lehmhäuser. Ein rosa Gebäude mit Kuppel beherbergt das Grab eines Marabout, der viele kranke Menschen geheilt haben soll. In der Nähe ist die Schule für Nomaden: Ein Zelt aus Wolldecken, darin warten die grüne Tafel, bunte Schulbänke und ein alter Ball auf die Kinder.

Die hart gepresste Piste geht in weichen Sand über. Als Ahmed den Allrad-Antrieb einschaltet, funktioniert die Klimaanlage nicht mehr. Die Sonne brennt vom Himmel, und noch nie hat 30 Grad warmes Wasser aus der Plastikflasche so gut geschmeckt. Der Jeep schwimmt durch sandige Gräben. Dann plötzlich stehen Dünen da, majestätisch geschwungen, gezeichnet vom Wind jeden Tag aufs Neue, mächtig und still.

Im Wüstencamp wartet Ali, seine lange hagere Gestalt kontrastiert mit dem großen schwarzen Turban, darunter ein lachendes Gesicht. Er freut sich über Gäste, denn er würde viel lieber in der Stadt leben als im einsamen Camp. Seine Welt hier umfasst nur vier Schlafzelte aus graubraunen Wolldecken, ein großes Speisezelt mit bunten Teppichen, ein Lehmhaus, in dem er kocht und ein weiteres Lehmgebäude mit Toiletten und spärlich tropfenden Duschen, deren abgestandenes Wasser aus einem Tank kommt. Für Ali ist es schwer, anderswo einen Job zu finden: Seine Familie stammt aus der Sahara in Mali und er kann mit 32 Jahren weder lesen noch schreiben. Mit Eifer lernt er von Touristen Sätze auf Englisch, Französisch oder Deutsch und begrüßt jeden mit einem bunten Wortschwall. Aus dem mitgebrachten Gemüse und Hühnerfleisch bereitet er eine Tajine zu, den typischen Eintopf Marokkos.

„Sahara is crazy!“, ruft Ali, als Wind aufkommt. In kurzer Zeit knirscht es zwischen den Zähnen, Haare und Augen voll Sand. Das Licht wird diesig, wie ein Schleier. Über dem scharfen Grat der Dünen tanzen die Sandkörner. Wer durch den tiefen Sand hinaufklettert, wird mit einem Spiel an Farben und Formen belohnt: Gelbe und braune Berge und Bögen reihen sich bis zum Horizont. Dann kommt das große Vergnügen, die Hänge hinunterzukugeln. Die Spuren verwischt der Wind sofort und malt wieder seine welligen Muster in den Sand. Der Himmel zieht zu und Ali tanzt in den spärlichen Regentropfen: „Sahara is happy!“

Schlafen in den Dünen

Am Abend lässt der Wind nach. Kein Sternenhimmel, doch der Vollmond blinzelt durch ein Loch in den Wolken. Zwei Matratzen und rundherum die Dünen, irgendwo liegen auch Ahmed und Ali im Freien. Jetzt nur nicht einschlafen, die Augen wandern die runden Silhouetten der Dünen entlang, immer wieder. Es ist so still. Man möchte möglichst lang wach bleiben und diese Welt genießen.

Wer sich die Zelte der wenigen verbliebenen Nomaden aus edlen Decken und Teppichen vorstellt, wird am nächsten Tag eines Besseren belehrt: Knorrige Äste, alte Tücher und Decken sind zu einem Zelt zusammengeflickt. Ein Bub hütet das Feuer, gastfreundlich bietet er Tee an. Seine Familie ist mit den Dromedaren unterwegs zu einer Wasserstelle. „Er besitzt fast nichts, aber ist glücklich, weil er eine Aufgabe hat“, sagt Ahmed. Almosen sollen nicht verteilt werden, der Bub verkauft Fossilien und selbstgebastelte Tierfiguren.

Auch in der Wüste stehen Schilder, eine windschiefe Tafel verweist auf einen Kontrollposten des Militärs. „Habt ihr euren Pass mit?“, fragt Ahmed so nebenbei und stoppt den Jeep. Zum Glück ist alles im Rucksack. Ein Soldat schreitet in Uniform und Schlapfen von seinem Ausguckposten durch den Sand herab, umständlich notiert er die Passdaten in seinem Buch, es sind für ihn ja fremde Schriftzeichen. Er hat Zeit. Ein bisschen Palaver und er winkt zur Weiterfahrt.

Irgendwann endet die Schotterpiste, Foum Zguid präsentiert sich mit Asphaltstraße und festungsartigem Torbogen. Viele Ortseinfahrten Marokkos sind pompös, oft steht dort auch die Polizei, sie kontrolliert die Hereinkommenden und ganz penibel die Geschwindigkeit der Autofahrer. Hinter dem Einfahrtsbogen stehen die öffentlichen Gebäude; wo der Asphalt brüchig oder zur Schotterstraße wird, wohnen die Menschen. Es lohnt sich, einige Tage in einem Oasenort wie Foum Zguid zu bleiben. Die Zeit fließt in der Hitze langsam dahin. Die Langsamkeit öffnet die Augen für kleine Entdeckungen. Im grünen Innenhof von Ahmeds Gastwirtschaft ist es gut auszuhalten und immer ist jemand da zum Plaudern. Einer seiner Freunde erklärt, wie man die traditionellen Musikinstrumente spielt, die im Wohnsalon liegen. Ahmed zeigt seine Sammlung an Fossilien aus dem urzeitlichen Meer, das die Sahara einst bedeckte. Er hat auch Speerspitzen an Plätzen gefunden, an denen sein Stamm einst unterwegs war. „Die Spitzen könnten meine Vorfahren gemacht haben“, sagt er träumerisch. Zu Mittag wird es ruhig, jetzt ist es auch zum Plaudern zu heiß.

Oasenstadt aus vergänglichem Lehm

Wenn die Hitze nachlässt, wird auf dem sandigen Dorfplatz Fußball gespielt, fachkundige Zuschauer feuern die Teams an. Auch Zeremonien finden hier statt: Ein Vater bringt seine Tochter mit, die bald heiraten soll, erklärt Ahmed. Frauen in bunten Gewändern singen, tanzen und machen Fotos mit ihren Smartphones. Daneben fällt ein Tor, der Schiedsrichter pfeift.

Die kleinen Geschäfte öffnen am späten Nachmittag, Zeit für den täglichen Bummel in den Ort, der zur lieben Gewohnheit wird. Der Obstverkäufer zeigt einen kleinen Geldschein, so ist klar, was für die gelben Melonen zu zahlen ist. Im Café Rachid wird Orangensaft vor den Augen der Kunden frisch gepresst, ein großes Glas mit süßem Nektar. Der Weg in die Post ist empfehlenswert, weil es dort super klimatisiert ist; gerne wartet man in der Schlange.

Am letzten Tag erinnert Ahmed daran, die Altstadt von Foum Zguid zu besuchen, die sich hinter hohen Mauern versteckt. Ein Labyrinth an verwinkelten Gassen und unterirdischen Gängen, gut, dass der ortskundige Führer den Weg kennt. Nur mehr acht Familien wohnen hier, und weil niemand mehr die Lehmhäuser instand hält, werden sie wieder zu Erde, sie zerfließen förmlich – ein malerischer, aber gleichzeitig trauriger Anblick.

Abends kocht Ahmed noch einmal auf. Plötzlich ein Stromausfall, doch das ist kein Problem, denn in der Küche wird Gas verwendet. Auf den Esstisch im Hof stellt er einen vielarmigen Kerzenleuchter auf, wie bei einem romantischen Candle Light Dinner. Natürlich ist auch die Klimaanlage im Schlafzimmer ohne Strom, doch das ist ebenfalls kein Problem. Denn nach einigen Tagen am Rand der Sahara ist das eigene Tempo langsamer geworden, der Lebensrhythmus an die Hitze angepasst – daher war die Klimaanlage längst abgeschaltet.

NACH FOUM ZGUID

Anreise: Von Marrakesch in zwei Varianten über den Atlas in den Süden: via N9 (besser ausgebaute Straße und Hauptroute über den Pass Tizi-n-Tichka, Dauer ein Tag) oder R203 (weniger befahren, über den Pass Tizi-n-Test, Dauer zwei Tage).

Quartiere: Auberge L`Oasis von Ahmed Zouine, der auch Ausflüge in die Sahara organisiert. Komfor- tabler sind das Riad Hiba (Gastgeber bieten eben- falls Ausflüge) und etwas außerhalb das Bab Rimal.

Tipp: Selbstfahrer sollten einem Reiseführer mit de- taillierten Wegbeschreibungen folgen, z. B. „Südmarokko“ von Astrid u. Erika Därr, bei Reise Know-How.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2019)

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