Salzburger Wissenschaftler erforschen den Artenschwund in Afrika und Österreich. Ihr Fazit: Landwirtschaft und Bevölkerungswachstum sind oft verheerender als der Klimawandel.
Wenn Jan Christian Habel auf eine Landschaft mit ausgedehnten gelb blühenden Rapsfeldern schaut, dann ist die Freude über diesen Anblick der frühlingshaften Natur nicht ungetrübt. Für den Umweltwissenschaftler der Uni Salzburg stehen die Rapsfelder für Monokultur. Sie sehen zwar schön aus, für die Artenvielfalt sind sie aber nicht zuträglich. „Die intensive Landwirtschaft ist einer der großen Treiber des Artensterbens“, sagt Habel. So werden beispielsweise durch die Verfrachtung von Pestiziden oder großflächigen Stickstoffeintrag auch Flächen beeinträchtigt, die gar nicht landwirtschaftlich bewirtschaftet werden.
„Wir haben in Österreich in manchen Regionen eine flächendeckende Volldüngung“, sagt Habel, der in der Düngung eines der großen Probleme sieht. Die einstigen Magerwiesen und angrenzende Feuchtgebiete werden dadurch mitgedüngt. Das wiederum verändert das dort übliche Pflanzeninventar. Jene Arten, die mageren Boden brauchen, werden von anderen, die besser mit dem Stickstoffangebot zurechtkommen, verdrängt. Es gehen dadurch aber nicht nur Pflanzenarten verloren, sondern auch Insekten, die genau diese Pflanzen zum Überleben brauchen. Damit schwindet schließlich das Nahrungsangebot für Vögel oder Fledermäuse, das Artensterben setzt sich fort.
Wenn das Ökosystem kippt
Gleichzeitig werden auch die Exemplare der noch vorkommenden Arten seltener. Irgendwann ist das Ökosystem so geschwächt, dass es nur noch schwer „repariert“ werden kann. Kipppunkt nennen die Wissenschaftler diese unwiderrufliche Veränderung, die nicht nur die Lebensgrundlagen der einzelnen Tier- und Pflanzenarten bedroht, sondern auch jene des Menschen. Gemeinsam mit Kollegen im In- und Ausland forscht Habel an jenen Faktoren, die diesen für jede Artengemeinschaft spezifischen Kipppunkt ausmachen.
Landwirtschaft und Bevölkerungswachstum sind dabei noch zentraler als die Auswirkungen des Klimawandels. „Je fragiler das System, desto schneller ist der Kipppunkt erreicht“, sagt Habel. Neues Wissen soll die Basis für effizientere und wirksamere Strategien gegen den Verlust der Artenvielfalt schaffen. Habel richtet dabei den wissenschaftlichen Blick sowohl auf die Welt vor seiner Haustüre, als auch auf bedrohte Lebensräume auf anderen Kontinenten.
So hat der gebürtige Deutsche, der im Frühjahr als Professor für Zoologische Evolutionsbiologie an die Universität Salzburg berufen wurde, die Veränderung der Schmetterlingsbestände für das deutsche Bundesland Baden-Württemberg über die vergangenen 150 Jahre analysiert. Das Fazit: „Etwa zwei Drittel aller ursprünglichen Vorkommen sind inzwischen verschwunden.“ In Salzburg hat er gerade in Zusammenarbeit mit dem Haus der Natur eine ähnliche Studie begonnen.
Noch viel größer als bei uns sind die Herausforderungen für Naturschutz in anderen Regionen der Welt. „In Ostafrika geht es nicht um den Erhalt von schönen Orchideen, sondern darum, der Degradierung ganzer Landschaften entgegen zu wirken“, sagt der Evolutionsbiologe, der zehn Jahre in Kenia geforscht hat. Hinter diesem Verlust von Ökosystemen stünden nicht nur der Flächenbedarf für Plantagen, sondern weitreichende Probleme wie Armut, Landflucht und Bevölkerungswachstum.
Nachhaltige Strategien nötig
Auf der Suche nach einer noch intakten Umwelt lassen sich beispielsweise viele Menschen in Kenia entlang von Flüssen nieder. Weil ihre Hauptenergiequelle Holz ist, werden die Wälder abgeholzt. Niederschläge schwemmen dadurch den Humus von Böden weg, und invasive exotische Pflanzenarten überwuchern das gesamte Ökosystem. Es kippt – die Menschen machen sich wieder auf die Reise, und der Prozess beginnt wieder von vorne. „Teile Kenias sind mittlerweile degradiert. Über die letzten zehn Jahren hat sich die Bevölkerung verdoppelt“, nennt Habel einen der Gründe, warum der Druck auf schützenswerte Ökosysteme weiter steigt.
Ähnliche Probleme gibt es in vielen afrikanischen Ländern. Gemeinsam mit Kollegen und Partneruniversitäten in der jeweiligen Region erforscht Habel, wie man gegensteuern kann. Armutsbekämpfung, Familienplanung, politische Stabilität und nachhaltige, großflächige Landnutzungsstrategien seien der Schlüssel dazu, ist der Forscher überzeugt. Doch die Umsetzung ist schwierig. „Ihr braucht uns nicht zu belehren, ihr habt ja bereits alles zerstört“, lautet ein Vorwurf, der den Wissenschaftlern aus Europa häufig entgegenschlägt.
IN ZAHLEN
1.000.000 Arten von geschätzten acht Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit sind laut einem Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES (August 2019) vom Aussterben bedroht.
70 Prozent der österreichischen Wirbeltiere sind laut einer Studie des WWF und der Boku zwischen 1986 und 2015 verschwunden, die meisten davon hoch spezialisierte Arten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2019)