Politiker, Bauherren, Spekulanten, Architekten können nur das tun, was wir sie tun lassen. Ein Bild aus Wien.
Geschmacklosigkeiten

Wo bleibt da der Protest?

Unsere Neubauviertel haben kaum noch etwas mit Struktur und Idee von Stadt gemein. Es ist den heimischen Ratsherren offenbar auch längst wurscht, wie ihre Städte ausschauen. Über die Emanzipation der Geschmacklosigkeit.

Im Jahr 1297 verfügte der Stadtrat von Siena, die Fenster der Gebäude am Hauptplatz, der Piazza del Campo, seien gleichmäßig zu gestalten. Ab 1309 mussten die Bürger neue Häuser zur Straßenseite hin mit Ziegelmauerwerk errichten, auch das ausdrücklich des Stadtbildes wegen. Hässliche Bauten hingegen wurden sogar abgerissen, um „la bellezza della città“, die Schönheit der Stadt, zu fördern, weiß Michael Stolleis, emeritierter Professor für Öffentliches Recht und Rechtsgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt. 1370 schließlich bildeten drei Stadtväter einen Ratsausschuss, eine Art spätmittelalterlichen Gestaltungsbeirat, der bei sämtlichen Bauarbeiten im Straßenraum „den Kriterien der Schönheit zur Beachtung verhelfen“ sollte.

Dem Ehrgeiz der Sienesen standen die Florentiner um nichts nach. Ihre Ratsherren ordneten 1322 aus rein ästhetischen Gründen an, dass alle, die Hütten oder Buden in der Stadt besaßen, diese bis zu einer Höhe von 2,36 Metern aufzumauern hatten. An der Via Maggio wiederum durften fortan keine Erker mehr angebracht werden, damit diese Straße weiträumig und schön sei, „ampla et pulchra satis“. Warum gerade toskanische Städte so früh schon auf ihre Schönheit bedacht waren, erklärt Michael Stolleis, im Übrigen Sohn eines Bürgermeisters, indem er die kommunalpolitischen Entscheidungen von damals in einen größeren Kontext stellt: Die an ästhetischen Prinzipien orientierte Urbanistik sei ein integrales Element von Renaissance und Humanismus – und diese hätten bekanntlich in mehreren Gemeinwesen Norditaliens ihren Ausgang genommen und bis weit in die Neuzeit hinein ihre kulturellen Vorreiter gefunden.

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