Grünen-Chef Werner Kogler lässt sich nicht provozieren und würde – wie Sebastian Kurz – gerne im Jänner fertig werden. Aber nicht um jeden Preis. Es spießt sich bei den Steuern.
Wien. Auch die Grünen könnten, wenn sie wollten, „Dinge verdreht“ aus den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP „rausspielen“, twitterte Generalsekretär Thimo Fiesel am Sonntag. Es gehe aber „um die Zukunft der nächsten Generationen“, um Klimaschutz, Kontrolle, Armutsbekämpfung. „Wir kennen unsere Verantwortung und nehmen dieses Foul sportlich.“
Das „Foul“ hatte ein türkiser Verhandler begangen, als er dem „Kurier“ am Wochenende erzählte, dass der ÖVP bei manchen Forderungen der Grünen die Luft weggeblieben sei. So hätten diese unter anderem verlangt, dass in Fußballstadien nach 20 oder 21 Uhr das Flutlicht abgedreht werden müsse, „damit die Scheinwerfer die Insekten nicht irritieren.“ Oder auch: Das Wort Entwicklungsland solle aus dem offiziellen Sprachgebrauch entfernt werden. „Partnerländer aus den Fortschrittszonen des globalen Südens“ wäre besser.
An der grünen Parteibasis war die Aufregung am Sonntag groß, denn die Aussagen wurden irgendwo zwischen Provokation und Gehässigkeit eingeordnet. Da Sebastian Kurz dem „Kurier“ auch ein Interview gegeben hatte, lag für manche der Schluss nahe, dass der ÖVP-Obmann höchstselbst aus dem Nähkästchen geplaudert hatte. Was sein Umfeld aber bestritt.
Nur Werner Kogler zeigte sich von den Sticheleien unbeeindruckt und forderte alle Beteiligten auf, Ruhe zu bewahren: „Keep cool. Es kommt früher oder später noch genug Hitze in die Küche.“
Europakapitel noch offen
Unter Zeitdruck will sich der Grünen-Chef aber nach wie vor nicht setzen lassen. Kurz hatte am Wochenende einen Verhandlungsabschluss im Jänner in Aussicht gestellt, genau genommen in der zweiten Jännerwoche. Der Zeitplan sei realistisch, sagte Werner Kogler am Sonntag. „Es kann aber auch länger dauern.“ Die grünen Kernforderungen müssten im Regierungsprogramm schon enthalten sein. „Sonst sind wir halt nicht dabei. Eine Reise rückwärts geht sich mit den Grünen nicht aus.“
Grundsätzlich stimme er „mit Teilen der ÖVP und wichtigen Teilen der Grünen“ überein, dass ein Koalitionsabkommen „schon auf Erfolg verhandelt werden soll“. Manche Themenbereiche habe man auf Ebene der Parteichefs aber noch gar nicht behandelt, etwa das Europakapitel. „Das kann schon sein, dass das Zeit braucht.“
Zuvor hatte Sebastian Kurz erklärt, dass er seine zentralen Wahlversprechen jedenfalls einhalten werde. Dazu zählen die Fortsetzung einer restriktiven Migrations- und Integrationspolitik, ein Nulldefizit und Steuersenkungen. Außerdem scheint die ÖVP nicht gewillt, türkis-blaue Prestigeprojekte wie die Kürzungen bei der Mindestsicherung (die bald wieder Sozialhilfe heißen wird) zurückzunehmen. Auch Vermögenssteuern kommen für Sebastian Kurz nicht infrage.
Werner Kogler sagte, dass eine Steuerreform noch „Gegenstand von Gesprächen“ sei. Und plädierte „sehr dafür“, alle arbeitenden Menschen – Arbeiter, Angestellte und Selbstständige – zu entlasten. „Das kostet dann natürlich auch etwas. Wir müssen schauen, wie wir das gegenfinanzieren.“ Und: Alle internationalen Studien wiesen darauf hin, dass Österreich nicht nur bei den Ökosteuern, sondern auch bei den vermögensbezogenen Steuern hinterherhinke. „Irgendwo wird da etwas passieren müssen.“
Gerade Investitionen in den Klimaschutz seien ja auch essenziell für die Wirtschaft und damit auch für neue Arbeitsplätze, so der Grünen-Chef. Und er glaube schon, dass man mit der ÖVP hier Übereinstimmung erzielen könne.
Zwischenmenschlich zumindest dürften die Parteichefs harmonieren. Er habe „ein sehr vertrauensvolles Verhältnis“ zu Werner Kogler, sagte Sebastian Kurz. Zwischenzeitlich seien die Koalitionsverhandlungen zäh gewesen, zuletzt habe das gemeinsame Projekt aber wieder Fahrt aufgenommen.
Grüne Zweifel an Türkis-Grün
Wobei das offenbar nicht alle so sehen. Der Wiener Grünen-Abgeordnete Martin Margulies beklagte sich am Sonntag via Twitter, dass der ÖVP-Obmann die „türkis-blaue Steuer- und Budgetpolitik, die türkis-blaue Sozialpolitik und die türkis-blaue Ausländerpolitik“ weiterführen wolle. Er glaube „eigentlich nicht“, dass Sebastian Kurz mit den Grünen regieren wolle. „Und ganz ehrlich: Unter diesen Bedingungen will ich auch nicht.“ (pri/APA)
AUF EINEN BLICK
Die Koalitionsverhandlungen haben am Sonntag an Dynamik gewonnen. ÖVP-Chef Sebastian Kurz drängte öffentlich auf einen raschen Abschluss und irritierte damit so manchen Grünen. Doch Bundessprecher Werner Kogler wollte sich weder aus der Ruhe bringen noch unter Zeitdruck setzen lassen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2019)