Gastkommentar

Niedrigzinszeiten verlangen ein Umdenken beim Sparen

(c) Peter Kufner
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Das geringe Zinsniveau erzürnt Sparer und ist langfristig bedrohlich. Man sollte über Alternativen nach- und Gewohnheiten überdenken.

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In Zeiten, in denen geringe Zinssätze für Spareinlagen vorherrschen und in denen der Begriff der Negativzinsen in den Sprachgebrauch der Finanzwirtschaft Eingang gefunden hat, ist bei der Suche nach anderen Anlageformen zunächst ein Blick in die Instrumentenkiste der Finanzmathematik lehrreich.

Dass ein Zinssatz (in Prozent) und ein Zinsertrag (in Euro) verschiedene Dinge sind und dass es Zinsen und Zinseszinsen gibt, ist allgemein bekannt. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass die Vorstellungskraft der Bevölkerung über die konkreten Auswirkungen der finanzmathematischen Mechanik über lange Zeiträume gegeben ist.

Wie viele Befragte würden die Aussage, dass bei mehrjähriger Anlage ein doppelt so hoher Zinssatz zu einem doppelt so hohen Zinsertrag führt, spontan als richtig bewerten? Vermutlich viel zu viele. Beim bekannt bescheidenen Stand des Finanzwissens der Bevölkerung ist es vielleicht besser, das Befragungsergebnis gar nicht zu kennen.

Dieses Wissen ist jedoch höchst relevant, wenn es um langfristige Anlagen geht. Wenn man beispielsweise im Alter von 30 Jahren für die Zeit nach der Erwerbstätigkeit finanziell vorsorgen möchte, ist eine Anlagedauer von 35 oder 40 Jahren durchaus realistisch. Was in derart langen Zeiträumen finanzmathematisch passiert, ist leicht zu erklären:

Zinsen und Zinseszinsen

Ein Einmalbetrag von 10.000 Euro wächst bei einem jährlichen Zinssatz von 0,5 Prozent nach 40 Jahren auf rund 12.208 Euro (10.000 x 1,005^40 = 12.207,94) an. Der erwirtschaftete Zinsertrag beträgt daher rund 2208 Euro. Hingegen beträgt bei einem jährlichen Zinssatz von 5,0 Prozent der Kapitalstand dann rund 70.400 Euro (10.000 x 1,05^40 = 70.399,89), weil ein Zinsertrag von 60.400 Euro entsteht. Eine zehnfache Verzinsung (5,0 statt 0,5 Prozent) führt demnach zu einem mehr als 27-fachen Zinsertrag (60.400 statt 2208 Euro).

Legt man diese Zinserträge auf fünf Jahre um, stehen monatlich entweder mehr als 1000 Euro oder weniger als 37 Euro zur Verfügung. Dass die Inflation über 40 Jahre die Kaufkraft zusätzlich erheblich schmälert, sei nur am Rande erwähnt.

Sparbuch oder Wertpapier

Wie lässt sich in Anbetracht solcher Tatsachen erklären, dass sich herkömmliche Sparformen (Sparbücher, Sparkonten etc.) nach wie vor hoher Beliebtheit erfreuen und sich im Gegensatz dazu fortgeschrittene Sparformen (Wertpapiere, Fonds etc.) nur zögerlich verbreiten?

Erstens ist es gut möglich, dass viele Sparer über die finanzwirtschaftlichen Mechanismen nicht im Bilde sind und die Konsequenzen daher nicht wahrnehmen. Zweitens kann es sein, dass Sparer einen derart verkürzten Planungshorizont haben, sodass die langfristigen Effekte der Zinseszinsrechnung entweder gar nicht oder nur abgeschwächt auftreten.

Drittens ist der traditionelle Sparer im Regelfall skeptisch, ein für ihn neues Terrain zu betreten. Bei anderen Anlageformen – beispielsweise bei Wertpapieren – denkt er reflexartig mehr an die Risken und weniger an die Chancen.

Viertens fehlt es den jüngeren Generationen an der Einschätzung der Zeitpunkte, der Höhe und der Bedingungen, die von der gesetzlichen Altersvorsorge abhängen. Diese ist meist noch Jahrzehnte entfernt.

Fünftens wurde die Attraktivität von Wertpapieren bislang durch nicht unerhebliche Ausgabeaufschläge und Managementgebühren gemindert. Eine Situation, die sich jedoch durch Direktbanken im Umbruch befindet.

Der Sparer ist skeptisch

Es ist notwendig, dass Anleger eine ausgewogene Wahrnehmung für Chancen und für Risken entwickeln und ihre Vorbehalte gegenüber fortgeschrittenen Anlageformen überdenken. Das betrifft übrigens auch den Verbraucherschutz, der als Folge schlimmer Erfahrungen mit unseriösen Anlagen diesbezüglich besonders vorsichtig agiert. Denn die Empfehlung darf nicht sein, dass man tatenlos zusehen soll, wie zinsenlose oder -minimale Anlagen das verdiente Geld langsam, aber sicher aufzehren.

Es ist auch vollkommen unangebracht, jede Volatilität bei Wertpapieren von vornherein als Schreckgespenst zu interpretieren, denn die Volatilität gibt als statistisches Schwankungsmaß (Standardabweichung) lediglich Veränderungen nach oben und nach unten an. Eine negative Konnotation der Volatilität als Gleichsetzung mit bloßem Risiko entspricht nicht ihrem Sinn. Es gilt vielmehr, die Sichtweise auf volatile Anlageformen grundsätzlich zu ändern und beide Augen (eines für die Chancen und eines für die Risken) zu öffnen.

Um das bequeme Verharren in unattraktiven Sparformen zu beenden, müssen veränderungswillige Anleger Eigeninitiative an den Tag legen.

Eigeninitiative ist notwendig

Neben dem Hausverstand sind dafür folgende Voraussetzungen hilfreich: einerseits ein grundlegendes Finanzwissen, das auch die Berechnung von Zinsen und Zinseszinsen ermöglicht. Denn wer sich bei Finanzthemen überhaupt nicht auskennt, muss das glauben, was andere erzählen. Und dass von Banken und Versicherungen, die selbst Finanzprodukte anbieten und profitable Geschäftsmodelle verfolgen, nur eine bedingt neutrale Beratung zu erwarten ist, leuchtet ein.

Andererseits bleibt dem Anleger eine ausführliche Sichtung geeigneter Anlagen nicht erspart, was durch Recherchen im Internet inzwischen relativ einfach geworden ist. Über diese Informationsquelle kann übrigens auch festgestellt werden, dass Aufschläge und Gebühren bei Wertpapieren und Fonds keine Naturgesetze sind und zwischen den Anbietern erhebliche Unterschiede bestehen.

Selbstbedienung beim Anlegen

An die Verwendung von Schecks kann sich kaum noch jemand erinnern und auch die an Bankzeiten und -filialen gebundenen Aus- und Einzahlungen von Bargeld gehören schön langsam der Vergangenheit an. Demgegenüber sind Kartenzahlungen, Geldautomaten und Onlinebanking zur Selbstverständlichkeit geworden. Selbst die Eröffnung eines Girokontos oder die Inanspruchnahme eines Kredits funktioniert längst ganz einfach online. Ein persönliches Erscheinen ist verzichtbar, und die Abwicklung erfolgt prompt.

Es gibt kaum Gründe, dass die Entwicklung dieser „Selbstbedienung“ vor dem Thema der Kapitalanlage haltmachen wird, wenn immer mehr Kunden die Vorteile der proaktiven Gestaltung ihres gesamten Finanzlebens erkennen. Entscheidungsrelevante Informationen über Anlagen sind allgemein zugänglich, und komfortable Instrumente zur Steuerung der Anlagen stehen zur Verfügung. Allerdings werden sie an Schulen und Universitäten zu wenig gelehrt und unterrichtet.

Die größere Herausforderung liegt wohl darin, die Vorbehalte gegen Veränderungen des Anlageverhaltens abzubauen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Autor

Gerhard Weibold (* 1951) blickt auf langjährige Lehrtätigkeiten an Universitäten und Akademien zurück. Er ist Unternehmensberater sowie Geschäftsführer von Unternehmen in Österreich und Deutschland. Sein inhaltlicher Fokus ist seit geraumer Zeit auf das Thema der Finanzbildung gerichtet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2019)

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